Die Errichtung des ersten Militärlagers bei Neuss wird in der Forschung unterschiedlich begründet. Während etwa M. Gechter sie mit den geplanten Feldzügen unter Drusus ab 12 v.Chr. in Zusammenhang bringt und ihm gemeinsam mit dem Lager bei Bonn eine Art Aufklärungsfunktion bei den Planungen dieser Kampagnen zuschreibt, erklärt sie J. Heinrichs aus eher defensiven Gesichtspunkten heraus.[ 1 ] Und zwar sollte die Militärbasis im Rahmen der nach der sogenannten clades Lolliana im Jahre 16 v.Chr. geplanten Maßnahmen die Verbindnung ins gallisch-belgische Hinterland, die bei Neuss über den Rhein und die Erftmündung führte, vor potentiellen Angriffen von Osten schützen.
Welche Überlegungen letztlich auch den Ausschlag gaben, jedenfalls weisen die Gründungsgeschichten der beiden Lager in Neuss und Bonn anscheinend einige allgemeine Analogien auf. So gehen in beiden Fällen den römischen Anlagen offenbar einheimische, ubische Siedlungen voraus, die im Zusammenhang mit der Umsiedlung des Stammes auf das linksrheinische Gebiet unter der Statthalterschaft des Agrippa 39/38 oder, so zuletzt Heinrichs, 20/19 v.Chr. gegründet wurden. Beide Siedlungen zeichnen sich durch eine geschützte geographische Lage aus. Den Ubiern wurde das Territorium überlassen, welches seit der Auflösung des Stammes der Eburonen durch die Truppen Caesars 53 v.Chr. brach gelegen hatte. Während in Bonn bei Grabungen in den 80er Jahren tatsächlich Reste einer einheimischen Siedlung gefunden wurden, kam im Bereich des Neusser Lagers, zwischen Meertal und Erftmündung, neben der frühen italischen Sigillata aus der Zeit um 16 v.Chr. 'nur' einheimische, spätlatènezeitliche (125-25 v.Chr.) Keramik zutage, die jedoch bis heute unpubliziert ist. Aber auch der unrömische Name Novaesium weist auf die Existenz einer ubischen Siedlung vor 16 v.Chr. hin. Da jedoch weitere archäologische Spuren davon bislang fehlen, ist ihre genaue Lokalisierung schwierig. Anhand von einigen einheimisch-ubischen Silberquinaren, die bereits früher im Areal der Selsschen Ziegelei gefunden wurden, kommt jedoch Heinrichs nun zu dem Schluß, daß der vicus dort gelegen hat.[ 2 ]
Militärische Anlagen
Die militärischen Anlagen von Novaesium lassen sich zeitlich und räumlich zu drei Gruppen zusammenfassen: in die sechs bis sieben augusteisch-tiberischen bzw. caliguläischen Lager (A bis F1-3) am Meertal, zuletzt besetzt von der legio XX[ 3 ]; die drei nahe der Erftmündung gelegenen Lager (G1, G2 und H), die von claudischer Zeit ab, mit einer kurzen Unterbrechung in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, bis in spätrömische Zeit von der legio XVI und VI sowie einer oder mehreren Auxiliareinheiten belegt waren; und das kleine Zwischenkastell sowie ein Wachturm, die beide vermutlich vom Ende des 1. Jahrhunderts bis in das 3. Jahrhundert auf den beiden Reckbergen bestanden haben.
In den ersten Jahrzehnten der römischen Besatzung müssen häufig Truppenverschiebungen stattgefunden haben. Archäologisch manifestieren sich diese in den mindestens 13 Bauperioden, die allein bei den Lagerumwehrungen festgestellt werden konnten. Der Verfall der Umwehrungen, der Umfassungsgräben und der Lagermauern oder -wälle und ihr ständiger Um- und Ausbau lassen sich nur durch zeitweise Abwesenheit der Truppe und Veränderung der Truppenstärke nach den Einsetzen erklären. Im Durchschnitt hat allem Anschein nach keines der frühen Lager länger als 5 bis 6 Jahre existiert.
[ 1 ] M. Gechter, Das römische Bonn - Ein historischer Überblick, in: M. van Rey (Hrsg.), Geschichte der Stadt Bonn, Bd. 1: Bonn von der Vorgeschichte bis zum Ende der Römerzeit (Bonn 2001) 58; J. Heinrichs, Zur Topographie des ubischen Neuss anhand einheimischer Münzen, Bonner Jahrbücher 199 (Bonn 1999) 91-94; s. auch M. Gechter, Die Anfänge des niedergermanischen Limes, Bonner Jahrbücher 179 (1979) 100; ders., Early Roman military installations and Ubian settlements in the Lower Rhine, in: Th. Blagg - M. Millett (Hrsg.), The early Roman empire in the West (Oxford 1990) 97-102 bes. 100; ders., Die frühe ubische Landnahme am Niederrhein, in: V. A. Maxfield - M. J. Dobson (Hrsg.), Roman Frontier Studies 1989, Proceedings of the XVth International Congress of Roman Frontier Studies, Canterburry 1989 (Exeter 1991) 439-441.
[ 2 ] Heinrichs a.O. 72-91; dagegen hat sich zuletzt M. Gechter, Die Militärgeschichte am Niedrrhein von Caesar bis Tiberius - eine Skizze, in: Th. Grünewald - S. Seibel (Hrsg.), Kontinuität und Diskontinuität. Die Germania Inferior am Beginn und am Ende der römischen Herrschaft, Kolloquium Nijmegen 2001, Reallexikon der germanischen Altertumskunde Erg.-Bd. 35 (Berlin 2003) 147 skeptisch über die Existenz eines "Weiler[s] der Ubier" in Neuss geäußert.
[ 3 ] Zur Scheidung der einzelnen Lager und ihrer insgesamt 12 bis 14 Umbauphasen s. zuletzt N. Hanel, Zur Datierung der frühkaiserzeitlichen Militärlager von Novaesium (Neuss), in: Ph. Freeman (Hrsg.), Limes XVIII, Proceedings of the XVIIIth International Congress of Roman Frontier Studies held in Amman, Jordan (September 2000), BAR international series 1084 (Oxford 2002) 497 ff. und Gechter a.O. 147 ff.
|
|