Die heutigen Kenntnisse über die Beziehungen Roms zu den germanischen Stämmen sind, neben der archäologischen Überlieferung, ausschließlich den römischen Schriftquellen entnommen, die im wesentlichen aus einer römisch-mediterranen Perspektive berichten. Es kommt hinzu, daß diese nicht nur fragmentarisch sind, sondern zudem auf den Zeitgeschmack eines römischen Lesepublikums ausgerichtet und schließlich auch in erheblichem Maße von den damals verfügbaren, vielfach von offizieller Stelle gefilterten Nachrichten abhängig sind. Diese eindimensionale bzw. verzerrte Darstellung in den Quellen muß immer bedacht werden, wenn man sich mit diesem Thema befaßt.
Der Norden Europas war den Mittelmeervölkern insgesamt lange Zeit kaum bekannt und mit mythischen Vorstellungen behaftet, da er außerhalb deren Erfahrungsbereich lag. Die früheste überlieferte 'Autopsie' der Region ist die Seefahrt des griechischen Geographen Pytheas aus Massalia, dem heutigen Marseille, im späten 4. Jahrhundert v. Chr. Nach Aussage seines Berichtes 'Periodos' war er über den Atlantik bis in die Nordsee vorgedrungen. Er erwähnt das Wattenmeer und nennt als Völker des Nordens die Guionen und Teutonen, Namen, von denen zumindest letzter auch später belegt ist. Die erste tatsächliche Konfrontation der Römer mit Völkern jenseits der Alpen erfolgte jedoch bereits einige Jahrzehnte früher: Um das Jahr 387 v. Chr. fielen keltische Stämme in Italien ein und eroberten Rom, zerstörten es weitgehend und zwangen die Bewohner zur schmählichen Zahlung eines Tributs. Der von dem Keltenführer Brennus überlieferte Ausruf "Vae victis!" (Wehe den Besiegten!) blieb den Römern unvergessen. Die Folge dieser Ereignisse war ein fast anhaltend gespanntes Verhältnis der Römer zu den nördlichen Völkern, daß auf römischer Seite über weite Strecken von einer Angst vor der mit diesen Stämmen - aus römischer Sicht - verbundenen Ruhelosigkeit und Aggressivität geprägt war. Zwar gab es keine ständige Konfliktsituation, doch auch die wenigen Auseinandersetzungen mit germanischen oder keltischen Stämmen waren in ihren Konsequenzen für das römische Bewußtsein von nahezu traumatischer Bedeutung.
Mehr als zwei Jahrhunderte später wiederholte sich diese Erfahrung einer existentiellen Gefährdung des Reiches: 113 v. Chr. war das unkluge Vorgehen des Konsuls Gnaeus Papirius Carbo im Zusammenhang mit Verhandlungen mit den Kimbern verantwortlich für die vernichtende Niederlage seiner Truppen beim alpenländischen Noreia in der Provinz Noricum. Dem römischen Historiker Tacitus galt diese Schlacht als Ausgangspunkt eines grundlegenden römisch-germanischen Gegensatzes. Wenige Jahre später, 105 v. Chr., erlitten die Römer bei Arausio, dem heutigen Orange in Südfrankreich, mit angeblich 80.000 Gefallenen eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte überhaupt. Auch dies wurde durch das fatal fehlerhafte Verhalten der kommandierenden Konsuln verschuldet. Erst dem römischen Feldherren Marius gelang es in zwei siegreichen Schlachten gegen die Kimbern und ihre Verbündeten - 102 v. Chr. bei Aquae Sextae, dem heutigen Aix-en-Provence, und ein Jahr später beim norditalischen Vercellae - einen Schlußstrich unter diese Kette von Niederlagen zu ziehen und die Gefahr für die folgenden rund 500 Jahre zu bändigen.
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