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'Kultkeller' und Heiliger Bezirk
 

Gnadental. Gepaplatz
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Gnadental. Schutzbau über Kultkeller
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1956 wurde bei Rettungsgrabungen des Rheinischen Landesmuseums (Bonn) am Gepaplatz in Neuss-Gnadental ein Fund gemacht, der, sollte die Interpretation von H. v. Petrikovitz als Kybele-Kultkeller zutreffen, auf dem Gebiet des ehemaligen imperium Romanum nördlich der Alpen singulär ist.[ 1 ]

Es handelt sich um einen annähernd quadratischen Keller von 1,80 m lichter Weite. Er ist heute noch 1,40 m tief und besitzt einen Stampflehmboden, der mit Dielen ausgelegt war. Die Wände sind in unregelmäßiger und schlechter Weise gemauert und bestehen aus wiederverwendetem Steinmaterial, das u.a. aus älteren Kultanlagen stammt: Es fanden sich Teile einer Iupitersäule, ein Weihaltar für zwei unbekannte Gottheiten, weitere Weihaltäre, deren Inschriften nicht erhalten sind, und ein Weihaltar für Iupiter. Gleichfalls nachlässig gemauert sind auch die beiden steilen, sehr schmalen Treppen aus wenigstens je 6 Stufen, die an zwei aneinander gegenüberliegenden Seiten hinabführen. An der Südostwand befindet sich ein tischartiger Absatz mit den Abmessungen 1,0 x 0,3 m. Vor den inneren Treppenwangen sind steinerne Pfostenunterlagen zu erkennen, die Einlassungen offenbar für die Holzstützen eines Deckenunterzugs aufweisen. Vermutlich wurde die ehemals hölzerne Kellerdecke, von der bei den Grabungen keine Spuren gefunden wurden, derart stark belastet, daß trotz der geringen Spannweite eine solche Stützkonstruktion erforderlich war. Nach Münz- und Keramikfunden wurde der Keller nach den 40er Jahren der 4. Jhs. verfüllt.

Kultkeller heute
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Der 'Kultkeller' im heutigen Zustand ...
Kultkeller z.Zt. der Ausgrabungen
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... und z.Zt. der Ausgrabungen
Der ungewöhnliche Befund ließ Petrikovits an eine fossa sanguinis (»Blutgraben«), einen Taufkeller des Kybele- (Magna Mater-) Kultes denken. Dafür spräche zum einen die Lage des Raumes in einem Kultbezirk, die grundsätzlich seine sakrale Funktion belegt. Weiterhin hielt er eine in Ostia gefundene Anlage, die von den früheren italienischen Ausgräbern als Taufkeller gedeutet wurde, für eine Parallele zum Neusser Befund.[ 2 ] Und schließlich sah er seine Annahme auch durch die am Gepaplatz gemachten Funde gestützt: eine flache, doppelhenkelige Tonflasche, ein fragmentiertes Bronzeblech aus dem Kelleraushub, das Petrikovits als Rest eines Schallbeckens (»Zimbel«) deutete, verschiedene Terrakotten von Muttergottheiten sowie die Terrakotta eines zusammengebrochenen Stieres oder Widders, der in einer Grube unweit des Kellers zu Tage kam. Da die genannte Stierfigurine und eine weiter Tonstatuette einer sitzenden Muttergottheit, die in einem Grab am Nordrand des Auxiliarvicus gefunden wurde (Abb. unten rechts; Quelle: Clemens-Sels-Museum Neuss), in die 2. Hälfte des 2. Jhs. datiert werden, vermutet Petrikovitz, daß Kybele bereits in dieser Zeit in Novaesium verehrt wurde.

Tonstatuette einer Muttergottheit (CSM Neuss)Der ursprünglich aus Phrygien stammende Kult der Kybele/Magna Mater kam mit der Expansion der Römer in Kleinasien ins römische Einflußgebiet. Es war ein Mysterienkult, der dem Eingeweihten über einen Initiationsritus eine eschatologische Perspektive vermittelt haben mag. Der christliche Schriftsteller Prudentius (geb. 348) gibt eine ausführliche Schilderung dieser »Taufe« (Prud. Peristephanon 10, 1006-1050), die jedoch durch eine starke anti-heidnische Polemik des Apologeten geprägt ist und den konkreten Ablauf des Rituals eher verschleiert. Eine Form dieses Rituals war das seit dem 2. Jh. inschriftlich im Zusammenhang mit dem Magna-Mater-Kult bezeugte taurobolium, was soviel wie "Stierniederwerfung" bzw. einfach Stieropfer bedeutet. Nach Aussage des Prudentius begab sich der Täufling dabei feierlich gewandet in eine Grube begeben, die man tief in den Boden gegraben hätte. Über sie seien Bretter gedeckt gewesen, um eine Bühne zu schaffen, wobei die Balken mit Abständen verlegt worden seien. Dann seien zahlreiche Löcher in die Bretter gebohrt worden. Hierauf sei ein geschmückter Stier - bei dem sog. kriobolium war es ein Widder - auf die Plattform geführt und unter Zimbel-, Flöten- und Kastagnettenmusik geschächert worden. Das Blut des Tieres wäre nun durch die Löcher und Ritzen auf den Darunterstehenden geflossen, der am Ende mit blutigen Gesicht und Kleidern herausgestiegen wäre und von den Umstehenden, den bereits Eingeweihten (Mysten) als gereinigt, gesühnt und für die Ewigkeit wiedergeboren (renatus in aeternitas) begrüßt worden sei.

Allerdings ist dieser blutige Charakter des Rituals, wie gesagt, nicht unbedingt als authentisch anzusehen, und so hat jüngst A.-K. Rieger die Glaubwürdigkeit des Prudentius bezweifelt und v.a. anhand von Inschriften aus dem Heiligtum der Magna Mater in Ostia die Meinung vetreten, daß es sich beim taurobolium um eine rituelle Kastration des Stieres handelte, die symbolisch, d.h. stellvertretend, für die des Menschen bzw. Opfernden stände, was wiederum mit der Funktion der Magna Mater als Fruchtbarkeits- bzw. Vegetationsgottheit zusammenhinge.[ 3 ]

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Petrikovits Deutung der Neusser Anlage ist somit keineswegs sicher und wird in der Forschung mit Skepsis betrachtet [ 4 ], zuletzt in einem kürzlich erschienenen Artikel von C. Pause. Als Einwände werden u.a. vorgebracht, daß es sich, in Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Rieger, bei der Anlage in Ostia nicht um eine fossa sanguinis handelte, wodurch sie als Parallele entfiele. Weiterhin stellten die genannten weiblichen Terrakottafiguren nicht Kybele dar, wie Petrikovits meinte, sondern, so Pause, germanische bzw. gallo-römische Muttergottheiten. Der im Keller gefundene Stier sei ebenfalls nicht mit dem Kult der Kybele, sondern, aufgrund einer beschrifteten Parallele aus Köln, mit dem der Isis zu verbinden. Auch das von Petrikovits als »Zimbel« ergänzte Bronzeblech gehöre eher zu einem Schildbuckel oder einer Phalera. Und schließlich sei auch die Neusser Provenienz des in Mannheim aufbewahrten Kybele-Reliefs [ 5 ] nicht sicher.

Die genannten Argumente entziehen Petrikovitz' These zwar weitgehend ihre Belege, widerlegen sie aber de facto nicht. Was die Votivstatuetten betrifft, so wurden Götterbilder grundsätzlich nicht nur in Heiligtümern derselben Gottheit geweiht, sondern auch in denen fremder Götter. Auch Stierfigurinen sind ein weit verbreitetes Phänomen der römischen Votivpraxis, daß für keine Gottheit spezifisch ist. Und schließlich ist der Kult der einheimischen Matronae nicht immer von dem der römisch-orientalischen Kybele/Magna Mater zu unterscheiden, da beide Gottheiten einige wesensverwandte Züge aufweisen, was oft zu einer gemeinsamen Verehrung beider Kulte führte.[ 6 ] Wie auch immer, an der kultischen Funktion der Anlage besteht nach wie vor wegen seiner Lage und der Kultobjekte kein Zweifel. Eine endgültige Deutung ist auf Grund fehlender Inschriften und eindeutiger Funde sowie der unzureichenden Dokumentation der Grabungen jedoch schwierig. Lediglich die 'Baugeschichte' des Kellers läßt sich, nach Aussage von Pause, näher eingrenzen. Danach wäre er "frühestens im späten 3. Jh." errichtet und nach der Mitte des 4. Jhs. aufgelassen worden. Als Funktion des Kellers schlägt Pause, u.a. auf Grund der Votivterrakotten, "eine noch nicht bekannt gewordene Art von Heiligtum für eine einheimische Gottheit" vor, wobei er auf die für Neuss belegte Verehrung der Sunuxal verweist. Als Alternative wäre auch an eine christliche Nutzung der Anlage zu denken, zumal der Befund deren Errichtung noch im 5. Jh. zuließe. Bereits Petrikovits hat auf die Ähnlichkeit der oben genannten Flasche mit frühchristlichen Pilgerflaschen hingewiesen.

Heiliger Bezirk. Plan
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Der sog. Kultkeller liegt, wie gesagt, in einem Kultbezirk am Südwestrand des Auxiliarvicus, von dessen womöglicher Umfassungsmauer allerdings nichts erhalten ist. Bei den Ausgrabungen 1956/57 wurden neben den oben genannten Steindenkmälern und einem weiteren Weihaltar für Iupiter Optimus Maximus 2 m östlich des Kellers die Mauer- und Pfeilerreste eines größeren Kultbaus des 2./3. Jhs. angeschnitten. Neben den Partien zweier aneinanderstoßender Außenmauern konnten noch eine Zwischenteilung in Nord-Südwest-Richtung sowie eine Pfeilervorlage an der Innenseite der Nordwestmauer festgestellt werden. Die Mauern haben einen Bruchsteinsockel, worauf das Aufgehende wahrscheinlich als Fachwerkmauer gesetzt war. Weder die genaue Grundrißform - quadratisch oder rechteckig -, noch die genauen Abmessungen des Baus sind bekannt. Im seinem Innern wurde eine runde Einlassung von 70 cm Durchmesser entdeckt, eine zweite, vollständig erhaltene und etwas größere lag weiter südlich, vielleicht außerhalb des Baus. Ihr Rand war aus Tuffstein gesetzt und der Boden mit Ziegelplatten belegt. Die Füllung bestand aus mit Holzkohlestückchen durchsetzter Erde. Wenige Meter westlich dieses Ziegelhohlzylinders kam der Rest eines Ziegelkanals zu Tage. Die Nordwestmauer des Baus wird südlich von einer großen Grube unterbrochen, die Kultgerät und jene zwei bereits erwähnten Terrakotten einer sitzenden Muttergottheit und eines Stieres enthielt. Unweit der Grube wurde ein Matronenweihaltar entdeckt.

Tonstatuette einer Muttergottheit (CSM Neuss)Auf Grund der gefundenen Votive deutet Petrikovits das Gebäude mit den Ziegelhohlzylindern als Kultbau. Was die dort verehrte Gottheit betrifft, so schlägt er zwei Deutungen vor: Der Matronenweihaltar und die Statuette einer Muttergottheit (Abb. rechts; Quelle: Clemens-Sels-Museum Neuss) könnten für ein Heiligtum der Matronae sprechen, wohingegen der 'Kultkeller' und die Stierfigurine auf einen Kybele-Kult hinwiesen, der den der Matronae abgelöst haben könnte. Angesichts der dürftigen Überlieferung hält Petrikovits eine endgültige Entscheidung für oder gegen den einen bzw. gegen beide Vorschläge für unmöglich. Auch die Funktion der beiden Ziegelhohlzylinder ist unklar. Petrikovts hält sie für Puteale, wobei er offen läßt, ob es sich entweder um eine Art von Brunnen, oder sogenannte Blitzmale, also Einfassungen von Orten, wo ein Blitz eingeschlagen hat und die als heilig angesehen wurden, oder Reste von Rundaltäre handelt. Die Spuren der Anlage, die wahrscheinlich bis um die Mitte des 4. Jhs. bestanden hat, sind im Pflaster vor dem Schutzbau ausgewiesen.

Der Schutzbau kann täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr besichtigt werden. Sie erhalten jederzeit den Schlüssel - auch samstags und sonntags - gleich nebenan bei der Familie Heischkamp, Gepaplatz 3. Eine vorherige Anmeldung ist jedoch wegen der Absprache eines Besichtungstermins ratsam: Tel./Fax: 02131-120669 oder 02131-101203.

Da der Schutzbau zur archäologischen Abteilung des Clemens-Sels-Museums gehört, können dort auch archäologische Fachführungen unter der Telelephonnummer 02131-904141 oder per E-Mail: museum@stadt.neuss.de vereinbart werden.

Siehe dazu folgende Artikel:

Literatur:

  • A.-B. Follmann-Schulz, Die römischen Tempelanlagen in der Provinz Germania inferior, in: H. Temporini - W. Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang des römischen Reiches II, Prinzipat, 18.1 (Berlin 1986) 757-759.
  • H. G. Horn in: Ders. (Hrsg.), Die Römer in Nordrhein-Westfalen (Stuttgart 1987) 588 f.
  • P. Noelke, Götter und ihre Kulte im römischen Neuss, Neusser Jahrbuch 1989, 22 f. 24. 26 Kat. Nr. 4-6. 16. 18. 20-21. 23-24 Abb. 2. 7. 14. 20-21.
  • C. Pause, Kritische Anmerkungen zum "Kybele-Kultkeller" in Neuss-Gnadental, Neusser Jahrbuch 2001 (2001) 5-8.
  • Ders., Fossa Sanguinis, Archäologie in Deutschland 4/2001, 44.
  • H. v. Petrikovits, Novaesium. Das römische Neuss. Führer des Rheinischen Landesmuseums in Bonn, 3 (1957) 36-41 66 f. 90-92 mit Abb. 13 f. 17. 32-35.
  • ders., Das römische Rheinland. Archäologische Forschungen seit 1945 (Köln 1960) 129-132 Abb. 41 Taf. 12-14.
  • E. Schwertheim, Die Denkmäler orientalischer Gottheiten im römischen Deutschland, Études préliminaires aux religions orientales dans l'Empire romain Bd. 40 (Leiden 1974) 9 f. Nr. 5 und 295-305 zum Kybele-Kult in der Germania inferior.


[ 1 ] Ein wahrscheinlich ähnlicher, annähernd zeitgleicher Fund aus dem 4. Jh. wurde z.B. im Heiligtum der Meter Steumene bei Aizanoi (heute Çavdarhisar) im antiken Phrygien/Türkei gemacht: R. Naumann, Istanbuler Mitteilungen 17, 1967, 233-241; weitere, vage Hinweise auf eine fossa sanguinis stammen aus Samothraki (Griechenland), Zadar (Kroatien) und Szombathely (Ungarn): G. Thomas, Magna Mater und Attis, in: W. Haase (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 17,3 (Berlin u.a. 1984) 1525.
[ 2 ] G. Calza, Il santuario della Magna Mater, Atti della Pontificia accademia romana di archeologia. Memorie. 6, (1947) 186. 197 f.; das Heiligtum und seine Funde, v.a. die Skulpturen und Inschriften, wurden neuerdings umfassend von A.-K. Rieger, Heiligtümer in Ostia (München 2004) 93-172 untersucht; zur vermeintlichen fossa sanguinis s. ebenda 110-112; danach sei die Nutzung des Raums als fossa sanguinis auszuschließen. Statt dessen handelte es sich um eine Zisterne, deren Wasser sowohl profanen als auch kultischen Zwecken gedient haben könnte.
[ 3 ] Ebenda 165-168; allgemein zum taurobolium s. auch R. Duthoy, The Taurobolium. Its evolution and terminology, Études préliminaires aux religions orientales dans l'Empire romain 10 (Leiden 1969); Thomas a.O. 1522-1525 und N. McLynn, The fourth-century taurobolium, Phoenix 50 (1996) 312-330.
[ 4 ] E. Schwertheim, Die Denkmäler orientalischer Gottheiten im römischen Deutschland, Études préliminaires aux religions orientales dans l'Empire romain Bd. 40 (Leiden 1974) 9 f. 162.
[ 5 ] Ebenda 10 f. Nr. 6; 299 f. Taf. 62.
[ 6 ] Ebenda 258.
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