Im letzten Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurde nahezu drei Kilometer östlich des Legionslagers auf dem Westhang des sogenannten Großen Reckbergs ein Kleinkastell zwischen dem Rheinufer und der nach Uedesheim führenden Römerstraße errichtet. Bei dem Reckberg, der sich zwischen den heutigen Neusser Ortsteilen Grimmlinghausen und Uedesheim befindet (Karte), handelt es sich um eine rund 6 m mächtige, sandige Dünenerhöhung über dem Hochwasserbett des Rheins, die aus zwei Kuppen besteht, eben jenem 'Großen' und dem 'Kleinen' Reckberg. Etwa 200-400 m nordwestlich des Kastells, auf dem Kleinen Reckberg, befindet sich das zu ihm gehörige Gräberfeld und eine römische Trümmerstelle.
Es besteht Grund zur Annahme, daß das Lager den Verlauf der vom Auxiliarkastell Durnomagus (Dormagen) nach Novaesium führenden Limesstraße markiert. Vielleicht aber waren, wie im Fall des Zwischenlagers von Werthausen oder des Wachturms auf dem Dachsberg von Duisburg-Baerl, auch rein strategische Gründe für die Positionierung ausschlaggebend. Nach Meinung von M. Kaiser hatte die Besatzung des Kastells die Aufgabe, die erwähnte Fernstraße samt Flußübergang zu überwachen: "Ein Abzweig der bedeutenden römischen Straße, die die niedergermanische Militärgrenze über die Eifel und die Täler von Mosel, Saône und Rhône mit der Mittelmeerküste verband, querte östlich unterhalb des Reckberges mit einer Furt (?) den Rhein in Richtung freies Germanien."[ 1 ] Nur vom Wachturm aus konnte das gesamte Hinterland überblickt werden.
Auf ein vermutlich größeres Holz-Erde-Kastell folgte ein Steinkastell, daß - bei 34,5 m Länge und 33 m Breite - 0,11 ha in der Grundfläche maß (s. Rekonstruktion). Die Lagerumwehrung bestand aus einer 1,9 m dicken Steinmauer und einem vorgelagerten, 6,5 m breiten Doppelgraben. Ein weiterer Doppelgraben, unmittelbar südlich des Lagers gefunden, gehörte wahrscheinlich zu dem genannten Holz-Erde-Kastell. In dem Lager war vermutlich nur eine kleine Besatzung von rund 50 Mann untergebracht. Es wird vermutet, daß es sich um ein Detachement des Auxiliarlagers handelte. Funde aus dem Gräberfeld südöstlich des Kastells scheinen die Präsens von Reitern zu bestätigen. Stichhaltige Belege, die der Datierung der Anlage dienen könnten, fehlen. Die Funde aus dem genannten Gräberfeld reichen jedoch vom Anfang des 2. bis zur ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Zudem sind vom Reckberg
Einzelfunde aus dem 4. Jahrhundert bekannt.
Nordwestlich des Kastells lassen Funde auf eine kleinere Ansiedlung schließen. Die von Koenen als 'Kastellvilla' bezeichnete Trümmerstätte hat eine Ausdehnung von 200 x 200 m. Mit Hilfe von Luftaufnahmen gelang es Kaiser "eine Anlage mit einer annähernd quadratischen Umfassungsmauer und Teile einer Innenbebauung zu erkennen"[ 2 ]. Seiner Ansicht nach handelte es sich "um eine Art 'forum'..., das im weitesten Sinne dem Reise- und Handelsverkehr diente"[ 3 ]. Weiterhin geht er davon aus, daß hier auch "eine Zollstelle für den grenzüberschreitenden Warenverkehr untergebracht war"[ 4 ].
Der etwa 200 m westlich des Kastells gelegene Wachturm besaß einen Grundriß von rund 5 x 5 m und war auf einem Steinsockel aufgesetzt. Er war wohl durch eine Palisade und einen Spitzgraben gesichert. Auch zu seiner Datierung gibt es keine Hinweise, jedoch wird vermutet, daß er, wie die anderen Anlagen auf dem Reckberg, zumindest bis in die 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts bestanden hat.
Ein weiterer Wachturm könnte, nach Meinung von Kaiser, weiter südwestlich gelegen haben, nördlich der vor wenigen Jahren entdeckten römischen Siedlungsstelle bei Rosellen. Eine "kleine Trümmerstreuung auf der Mittelterrasse"[ 5 ] der Niederrheinischen Bucht ließe sich dadurch erklären.
Im Zusammenhang mit der 2000-Jahrfeier der Stadt Neuss 1984 kam es auch zur Gründung einer Bürgerinitiative, die in dem heutigen Landschaftschutzgebiet mit Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen eine Rekonstruktion des Wachturms errichten ließ. Dazu muß jedoch gesagt werden, daß sein Aufbau weitgehend spekulativ ist, da es weder für die Höhe des Turms, noch für die Zahl der Geschosse oder die Art seiner Abdeckung gesicherte Kenntnisse gibt. Die Nachbildung orientiert sich an den zahlreichen Wachtürmen, die entlang des ehemaligen obergermanisch-rätischen Limes wiedererichtet wurden und deren Aufbau mangels archäologischer Funde gleichfalls nur in mehr oder weniger enger Anlehnung an Darstellungen römischer Wachtürme auf dem Relieffries der Trajanssäule in Rom (Anf. 2. Jh.) rekonstruiert wurde.
[ 1 ] M. Kaiser, Ausgrabungen im Gräberfeld des römischen Kleinkastells Neuss-Reckberg, Archäologie im Rheinland 1991 (1992) 61
[ 2 ] Ders., Neuere Forschungsergebnisse zur Geschichte der römischen Militäranlagen in Neuss, in: Fund und Deutung. Neuere archäologische Forschungen im Kreis Neuss, Veröffentlichungen des Kreisheimatbundes Neuss e.V.; 5 (Neuss 1994) 66.
[ 3 ] Ebenda 66.
[ 4 ] Ebenda 66.
[ 5 ] Ebenda 66.
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