Mit der Einrichtung des niedergemanischen Limes und dem damit verbundenen Ausbau der ständigen Truppenstandorte seit claudischer Zeit wandelten sich die irregulären Camps des die Truppe begleitenden zivilen Trosses in die seßhafte Organisationsform der canabae legionis und der Lagervici - Lagerstädte und -dörfer um Legionslager und Auxiliarkastelle - um.[ 1 ] Errichtet auf dem Legionsterritorium und somit der Aufsicht des Lagerkommandanten unterstellt, glichen sie zivilen städtischen und dörflichen Gemeinwesen, von denen sie sich nur durch die Rechtsstellung unterschieden. So konnte es dort gleichfalls u.a. Tempel, Marktplätze, Thermen, Theater und Amphiteater gegeben haben. Der Name 'canabae' bezeichnete ursprünglich die Verkaufsbuden von Krämern und Weinhändlern, die Lagerschuppen und Kneipen, woraus sich die Funktion der canabae legionis ergibt. Hier gab es alle Gewerbe, die für das Leben der Soldaten und ihrer Familien im Lager notwendig waren. Neben, wie gesagt, den Buden von Krämern, Bäckern und Köchen standen den Soldaten auch Bordelle und Kneipen zur Verfügung. Befanden sich in augusteisch-tiberischer Zeit die Werkstätten der Handwerker noch innerhalb des Lagers, so wurden sie in der Folgezeit nach außen, in die canabae verlegt. Das betraf vor allem feuergefähliche Gewerbe, wie Bäckereien, Töpfereien und Reuchereien. Zeugnisse dieser Alltagswelt wurden auch in Neuss gefunden, so die Reste eines Töpferofens mit Brennkammer und Einstellboden und ein Ziegelofen von 5 m Länge und 2,4 m Breite. Weiterhin wurden verschiedene Räucherkammern entdeckt, darunter auch eine aus Ziegeln errichtete Anlage, und Backöfen in Form von kleinen ausgeschachteten Erdhöhlen und kreisrunden Gruben. Zahlreiche Schmelztiegel und -fragmente, die in Planierungsschichten und Gruben gefunden worden sind, belegen die Wiederverwertung und den Guß von Altmaterialien und Werkstattabfällen.
Die beiden Ansiedlungen erstreckten sich hauptsächlich entlang der von Lagern
ausgehenden Hauptstraßenzüge. In der Zeit der Lager B-F, also in den ersten 30 Jahren n. Chr., waren dies die
Kölner Straße und entlang der A 57 nordöstlich des Autobahndreiecks Neuss. Nach der
Verlegung des Kastells an die Erft erstreckte sich die Lagervorstadt auf drei Seiten
des Lagers und nahm, einschließlich der Friedhöfe, das Gebiet ein, welches heute von
der Erft, der Autobahn, dem Nordkanal und dem Sporthafen eingerahmt wird. Die Häuser
der Siedlungen waren anscheinend überwiegend langgestreckte Fachwerk- oder
Steinbauten gewesen, die mit ihrer schmalen Stirnseite zur Straße ausgerichtet waren
und Wohn- und Gewerberäume unter einem Dach vereinigten. Auf Grund späterer
Überbauungen und Abtragungen konnten bislang allerdings nur wenige Kenntnisse über
die Siedlungen gewonnen werden.
Nur tiefer fundamentierte Gebäude, wie etwa Speicherbauten (horrea), ließen
sich archäologisch fassen. Drei Speicher konnten unweit des Nordkanals an der
Dunanstraße ausgegraben werden. Die zwei älteren Bauten waren 24 m lang und 10 m
breit bzw. 21 m lang und 14 m breit. Der Speicherboden ruhte jeweils auf in
Längsrichtung über Holzpfosten verlegte Rahmen. Die Wände waren wahrscheinlich als
Ständerfachwerk auf den Speicherboden aufgesetzt gewesen. Das jüngere horreum
wurde über eines der älteren errichtet und maß wahrscheinlich15 m in der Länge und 7
m in der Breite. Auch hier wurde der Aufbau wiederum von einer Substruktion aus
Holzpfosten getragen. Anscheinend war dem Speicher auch noch eine 3,5 m tiefe
Vorhalle vorgelagert gewesen, von der sich die südwestliche Ecksäule noch erhalten
hat. Nach G. Müller wurden die älteren Speicher wahrscheinlich während des
Bataveraufstandes 69/70
zerstört.
Bei zwei Grabungskampagnen 1980 und 1994 wurde im Bereich der Dunanstraße, auf
dem Gebiet des Annexes der jüngsten tiberischen Lager und unmittelbar nördlich des
'Koenenlagers', ein Steinfundament
untersucht, daß zu einem basarähnlichen fabrica-Bau von etwa 45 m Länge und
mehr als 35 m Breite gehört. Der Eingang des Gebäudes lag im Westen und besaß eine
Porticus. Anhand des Baubefunds konnten zwei Bauphasen festgestellt werden: Die
erste Phase fällt mit der Errichtung des Koenenlagers zusammen und wird um
die Mitte des 1. Jahrhunderts angesetzt. Spuren einer Brandzerstörung lassen sich
sehr wahrscheinlich mit dem Bataveraufstand verbinden, dem das Gebäude zusammen mit
dem Lager zum Opfer fiel. Nach der Katastrophe wurde der Bau wiedererrichtet. Neben
seiner Funktion als militärische fabrica, in der den Funden zufolge Bronze
umgeschmolzen wurde, diente der Bau wahrscheinlich auch als Magazin. An der
Konradschule ist das mindestens 57 m breite oder lange Forum gefunden worden. Vom 2.
Jh. ab lassen sich nur noch wenige Baubefunde nachweisen.
Körperpflege und Badekultur waren wesentliche Elemente römischen Lebens und in
den Provinzen geradezu konstituierende Elemente römischer Kultur. Bäder waren daher selbstverständliche
Bestandteile der Legionslager und durften auch in den Zivilsiedlungen nicht fehlen.
Die Thermen der canabae legionis von Novaesium lagen allem Anschein
nach im Gebiet zwischen Nordkanal und "Marienhof". Dort wurden
entsprechende Fundamente ergraben, die auf eine 68 m lange und über 30 m breite
Anlage schließen lassen. Die zur Hälfte freigelegte Apsis maß 10 m in der Breite und
4 m in der Tiefe. Weiterin kamen zwei Kaltwasserbecken (frigidaria) zutage,
die 9 m lang und 6 m breit bzw. 4,3 m lang und 2,8 m breit waren. Eine zweite
öffentliche Therme könnte zwischen Legionslager und Erft gelegen haben. 1925 wurden
in diesem Bereich die Reste eines über 100 m breiten wie langen Gebäudes aufgedeckt.
Es war mit Wasserbecken ausgestattet und besaß mehrere Apsiden sowie einen runden
Raum. Seine Deutung als Therme ist allerdings nicht sicher. Müller hält auch eine
Funktion "als staatliche Herberge für durchreisende hohe Beamte und
Offiziere" für möglich.
Literatur:
- G. Müller, Legionslager und Zivilsiedlung, in: Novaesium - Neuss zur Römerzeit, Schriftenreihe der Volkshochschule Neuss, Heft 4 (Neuss 1989) 55 f.
- Ders., Die militärischen Anlagen und die Siedlungen von Novaesium, in: H. Chantraine u.a., Das römische Neuss (Stuttgart 1984) 81-86.
- S. Sauer, Ein fabricia-Bau in den Neusser canabae legionis, Archäologie im Rheinland 1995 (1996) 86 f.
[ 1 ] Zur Siedlungsform der canabae legionis allgeimein s. Th. Fischer in: ders. (Hrsg.), Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie (Stuttgart 2001) 67. 334 (Lit.)
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