NGZ-Online, 13. Juli 2001
Die freundliche Hüterin des römischen Schatzes
Schlüssel für Pavillon der Kybele-Kultstätte in fester Hand
Harald Hordych
Es klingelt bei Ilse Heischkamp. Die 87-jährige Dame schnappt sich energisch ihre Gehhilfe und öffnet die Haustür, ohne zu fragen, wer da überhaupt Einlass begehrt. Ein junger Mann stellt sich vor und sagt, er habe sich gestern angekündigt. Ob er den Schlüssel haben dürfe. Ilse Heischkamp hält ihn bereits hoch. "Wollen Sie ein Pfand?" fragt der junge Mann eilfertig und greift schon nach seiner Brieftasche.
"Ach was", winkt Ilse Heischkamp ab, drückt ihm den Schlüssel in die Hand und sagt jenen Satz, den sie schon seit 40 Jahren jedem mit auf den Weg gibt, der sich die Kybele-Kultstätte in Gnadental anschauen möchte: "Nehmen Sie sich ein Prospektchen mit, schließen Sie gut ab und werfen Sie den Schlüssel in den Briefkasten." 1956 wurde bei den großen römischen Grabungen in Gnadental ein Keller entdeckt. Die Archäologen erkannten, dass es sich um eine der wenigen erhaltenen Kultstätten jener Zeit handelt. 1961 errichtete die Stadt Neuss einen Pavillon, um die Fundstätte zu schützen.
Die Schlüssel für das nüchterne Schmuckkästchen aus Beton erhielten zwei Familien, die am Gepaplatz in unmittelbarer Nachbarschaft des Pavillons wohnen. Eine davon waren Ilse und Robert Heischkamp. Von nun konnten Besucher zu jeder Tageszeit, egal ob wochentags oder am Wochenende, bei den Heischkamps anbimmeln. Während der einen Familie, wie Ilse Heischkamp fröhlich erzählt, die fremden Besucher bald zuviel wurden, behielten die Heischkamps die Schlüsselgewalt, "weil es eigentlich immer nette Leute sind, die sich die Kultstätte hier ansehen." Früher war Robert Heischkamp die treibende Kraft, was die Verwahrung des Schlüssels angeht. Ilse Heischkamp schüttelt sich vor Lachen, wenn sie erzählt, wie ihr Mann "seinen Quatsch über die Fundstätte machte". Dann stellte sich der Maschinenbau-Ingenieur mit den Worten "Das gehört alles mir" als Besitzer der Anlage vor, hob eine Vase mit römischen Zeichen in die Höhe und las den Gästen vor: "Meinem lieben Robert Heischkamp - Dein Julius Cäsar!" Dieses Vergnügen war der einzige Lohn, den sich Robert Heischkamp gönnte.
Ansonsten lehnte er jede Bezahlung für die Schlüsselverwahrung ab. Was Neuss im Lauf der Jahre viel Geld gespart hat, bedenkt man, was ein ständiger Wärter gekostet hätte. Einmal im Jahr kamen dann zwei Herren von der Stadt mit einer Flasche Cognac, erinnert sich Ilse Heischkamp. Die verschenkte Robert Heischkamp immer an einen seiner Freunde. Genau so machte er es auch mit "seiner" Kybele-Gedenkstätte, als es ihm gesundheitlich schlechter ging. "Die habe ich von meinem Mann geerbt", sagt Ilse Heischkamp. Als er 1984 im Alter von 75 Jahren starb kamen wieder zwei Herren von der Stadt. Diesmal brachten sie keinen Cognac, sondern einen Aushilfarbeitsvertrag. "Sie sagten ich sei jetzt Witwe und müsste Geld für diese große Hilfe bekommen."
Ilse Heischkamp fand das angemessen, auch wenn der wahre Grund ist, dass es dann "nicht ganz so langweilig ist". Mögen auch die Zeiten vorbei sein, als ihr Mann die Besucher spontan einlud, sich an der Kaffeetafel im Garten niederzulassen. Wenn alte Menschen noch ihre sieben Sinne beieinander haben, werden sie im Allgemeinen rüstig genannt. Aber das ist eigentlich ein viel zu dürres Wort, um Ilse Heischkamp zu beschreiben, so lebhaft und schwungvoll ist diese alte Dame, voller Humor und zupackender Lebensart.
Im Haus Gepaplatz 3 leben auch ihr Sohn Heinz (55) und seine Frau Marita mit den Söhnen Jan (18) und Marc (13). Die haben dank der Großmutter längst verinnerlicht, dass das Schellen der Türglocke automatisch den Griff zu einem kleinen blauen Anhänger mit einem Schlüssel nach sich zieht. Davon gibt es mittlerweile drei Exemplare. Eines Tages hatte sich eine Studentengruppe angekündigt. Nach der Besichtigung suchte der Professor seinen Wagen. "Da steht er doch", rief ein aufmerksamer Student. "Ach ja", sagte der Gelehrte erfreut, stieg ein und fuhr mit dem Pavillon-Schlüssel auf und davon. Es war die einzige Panne dieser Art in 40 Jahren.
Nach schweren Hüftoperationen ist Ilse Heischkamp auf einen Stock angewiesen, den sie im Augenblick nach einem Sturz mit einer Gehhilfe vertauscht hat. Wenn sie in ihrem Zimmer im ersten Stock sitzt, spart sie sich schon mal den Weg zur Haustür. Dann schmeißt sie den begehrten Schüssel einfach von oben aus dem Fenster raus. |