Tabula Peutingeriana
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Göttliches Novaesium
von Heinz Günter Horn
I. Die Römische Staatsreligion III. Die orientalischen Kulte
II. Die einheimischen Götter IV. Literatur

Die Römische Staatsreligion


Der römische Alltag war weit mehr von der Religion (religio), von der Bindung der Menschen zu den göttlichen Mächten und den daraus erwachsenden wechselseitigen Verpflichtungen durchdrungen, als dies in heutiger Zeit der Fall ist; kein Bereich des privaten und öffentlichen Lebens blieb ausgespart, da man glaubt, daß alles durch den Willen der Götter gelenkt und regiert werde. Es mußte deshalb unbedingt vermieden werden, deren Zorn zu erregen. Ihre Verehrung durch Gebet, Opfer und Weihegaben (Votive), der Kultus, unterlag deshalb strengsten Vorschriften, über deren Einhaltung eine etablierte, hierarchisch strukturierte und in unterschiedliche Kollegien zusammengefaßte Priesterschaft sorgsam wachte. Das korrekte Verhalten den Göttern gegenüber verpflichtete diese, den Menschen die erbetene Gunst und die erflehte Hilfe auch tatsächlich zu gewähren. Erwiesene Wohltaten wiederum hielten den Menschen an, in der vorgeschriebenen, meist gelobten Form Dank abzustatten; auf unzähligen Weihesteinen ist ausdrücklich erwähnt, daß der Stifter »das Gelübde gerne und nach Verdienst (der Gottheit) eingelöst hat« (votum solvit libens merito). Das vielzitierte Prinzip des »do-ut-des« (ich gebe, damit Du gibst) war in der römischen Antike der Ausdruck eines religiösen, keinesfalls kaufmännisch-berechnenden Umganges der Menschen mit den Göttern und umgekehrt. Zwischen Menschen und Göttern bestanden Verträge im juristischen Sinne, die von beiden Seiten eingehalten und erfüllt werden mußten; kein Wunder also, daß es im römischen Kultus zu keinem innigen religiösen Verhältnis kommen konnte.

Während die Strenge und der Formalismus der römischen Religion auf etruskischen Einfluß zurückgehen, verdanken die Römer die Darstellungsweise ihrer Götter, die Organisation und den Mythenreichtum ihrer (olympischen) Götterwelt weitgehend den Griechen.

Münze Lyon
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Der römische Staat wurde nicht durch die Waffen seiner Soldaten, sondern durch die Religion zusammengehalten. Im Mittelpunkt des offiziellen Kultus standen Jupiter, der beste und größte (optimus maximus), der Donnerer, der Welterhalter und oberste Gott des römischen Pantheons, seine Gattin Juno, die Königin und Beschützerin von Ehe und Familie, und seine scheinbar kriegerische Tochter Minerva, die Schutzgöttin des Handwerks und der Wissenschaften. Der Haupttempel dieser Dreiheit stand auf dem Kapitol in Rom; auch in jeder Stadt des Römischen Reiches, die den Rechtsstatus einer Colonia besaß, gab es einen Tempel der »kapitolinischen Trias«. In der Provinz Niedergermanien sind solche Heiligtümer in der Colonia Claudia Ära Agrippinensium (CCAA)-Köln und in der Colonia Ulpia Traiana (CUT)-Xanten belegt und archäologisch nachgewiesen. Wichtig für den einigenden Staatskult waren auch die zentralen Gebietsheiligtümer wie die 12 v.Chr. geweihte Ara in Lyon (s. Abb.) oder die kaum später errichtete Ara Ubiorum in Köln.

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Die Verehrung des lupiter optimus maximus war für alle Reichsbewohner verpflichtend und ebenso ein Zeichen von Staatstreue und Loyalität wie der Kaiserkult, die göttliche Verehrung des Kaisers und seiner Familienangehörigen, die seit dem l. Jahrhundert n.Chr. allgemein üblich und verbindlich war. Zahlreiche Weihungen von Soldaten und Zivilisten gleichermaßen sind im Römischen Reich »zum Wohle« (pro salute) des Kaisers oder »zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses« (in honorem domus divinae) getätigt worden. In fast allen Lagerheiligtümern oder Staatstempeln standen Kultstatuen der kaiserlichen Familie; viele Feldzeichen und Waffen waren durch ihre Bildnisse »gesegnet«. Wer nicht dem Jupiter, dem Kaiser oder der Göttin Roma, der verkörperten Staatsidee, in gebührender Weise opfern wollte oder konnte, wie z.B. die Christen mit ihrem Glauben an einen einzigen und wahren Gott, entlarvte sich als Staatsfeind, gegen den aus Gründen der Staatsraison mit der ganzen Härte des Gesetzes vorgegangen werden mußte.

Alle Lebensbereiche standen in römischer Zeit unter dem Schutz bestimmter Götter. Dort, wo man die Gottheit namentlich nicht zu fassen wußte, wirkte nach römischer Vorstellung zumindest ein Schutzgeist, Genius (ursprünglich die Lebens- und Zeugungskraft des Mannes) genannt. Solche Genii schützten nicht nur bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern auch Örtlichkeiten, wie z.B. das Lager. Besonders kennzeichnend für die römische Staatsreligion war die Verehrung des Genius Populi Romani. Neben Juno schützten auch Penates und Lares, altrömische Schutzgeister, die Familie, Haus und Hof; ihnen und den Ahnen war in vielen Häusern nicht weit von der Herdstelle ein Altar (lararium) geweiht, auf dem der Familienvater allmorgendlich opferte. Dieser »Herrgottswinkel« bot auch bescheidenen Raum für persönliche Frömmigkeit und gezielte Verehrung; manche der gefundenen Götterstatuetten aus Bronze oder Ton - die wenigsten von künstlerischer Qualität - dürften als Devotionalien und Ausdruck der Volksfrömmigkeit dort gestanden haben.

Hierher gehört zunächst einmal Venus. Obwohl die Göttin der weiblichen Schönheit und der Liebe nach offizieller Lesart auch die mythische Stammmutter des julisch-claudischen Kaiserhauses war und in Rom prächtige vom Staat errichtete Tempel besaß, scheinen ihre Zuständigkeiten für viele doch eher im privaten Bereich gelegen zu haben. Deshalb findet man auch dort zahlreiche Venus-Darstellungen als Zeugnisse ihrer Verehrung, wo sonst kein offizielles Venus-Heiligtum belegt ist. Glück und Schicksal des einzelnen, der Familie und auch des Staates lagen in den Händen der Göttin Fortuna, deren Attribute Füllhorn, Rad und Steuerruder waren. Wer wird sie nicht um ihren Schutz angefleht haben? Für Handel und Gewerbe war Mercurius zuständig; er wurde deshalb immer mit einem Geldbeutel in der Hand dargestellt. Daß die Griechen ihn ursprünglich einmal als den windschnellen Götterboten verehrt hatten, verraten Flügelschuhe, Flügelhut und Heroldsstab (caduceus). Bezeichnenderweise galt Mercurius auch als Schutzgott der Betrüger, Diebe und Wegelagerer. Das Handwerk stand nicht nur unter dem Schutz der Minerva, sondern auch des Schmiedegottes Vulcanus und des mühsalerprobten und findigen Hercules. Vor allem Hercules, der Steinbrecher (saxanus), scheint sich beim niedergermanischen Heer besonderer Beliebtheit erfreut zu haben; ihm fühlten sich die Soldaten bei ihrer schweren Arbeit in den Steinbrüchen offenbar besonders eng verbunden. Die eigentlichen Gottheiten des römischen Militärs aber waren der Kriegsgott Mars, häufig dargestellt in voller Waffenmontur, und die Siegesgöttin Victoria, die als äußere Zeichen des Sieges in ihren Händen nicht selten Kranz und Palmenzweig trägt; daneben gab es aber auch noch die vielen namenlosen militärischen Schutzgeister, wie z.B. den Genius der Legion, der Abteilung oder der Feldzeichenträger, die stets als bis auf einen Hüftmantel nackte Jünglinge in Soldatenstiefeln mit Füllhorn und Opferschale dargestellt wurden. Für das Gedeihen der Feldfrüchte war Ceres, die Göttin des Ackerbaus, verantwortlich, auch sie eine Gottheit, welche die Römer offiziell von den Griechen übernommen hatten. Auf dem Lande, auch in der Provinz Niedergermanien, scheint aber der altrömische Bauerngott Silvanus für die Segnung der Ernte und des Viehbestandes bedeutsamer gewesen und intensiver als sie verehrt worden zu sein. Er besaß weder einen Tempel noch einen offiziellen Kult; ihm wurden die Opfer im Wald dargebracht. Eine bäuerliche Gottheit war ursprünglich wohl auch Liber oder Bacchus (griechisch: Dionysos), der nach seiner Übernahme in das römische Pantheon als Weingott im Laufe der Zeit immer mehr zum Gott und Symbol überschäumender Lebensfreude wurde.

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Heilung im Krankheitsfalle brachten der göttliche Arzt Aesculapius (griechisch: Asklepios) und seine Gefährtin Salus-Hygieia. Wer krank machte, vermochte auch zu heilen, dachten sich die Römer. Deshalb verehrten sie den griechischen Musengott und Schirmherrn aller Künste, Apollo, offenbar hauptsächlich als Heilgott, der den Menschen durch seine weithin treffenden Pfeile Krankheit und Verderben senden konnte.

Auch die Unterwelt hatte ihre Götter. Im Reich der Schatten herrschte Pluto, auch Dis Pater genannt, mit seiner Gemahlin Proserpina; ihrem Richterspruch waren alle Toten unterworfen. Totengeister, die Di Manes, sorgten dafür, daß die Lebenden ihren Verpflichtungen (religio) den Verstorbenen gegenüber, z.B. angemessene Bestattung, Totenopfer und Ahnenverehrung, nachkamen. Diese Manen, deren Zorn und Rache besonders gefürchtet waren, wurden dann vor allem seit dem 2. Jahrhundert n.Chr. häufig auf Grabsteinen besänftigend angerufen.

Eine Besonderheit der römischen Staatsreligion war die göttliche Verehrung von Wertbegriffen, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Verhältnis des Individuums zu Staat und Gesellschaft - und auch umgekehrt - regelten. Diese Wertbegriffe waren nach römischer Vorstellung Bestandteile der göttlichen Weltordnung; honos (Ehre, Achtung), fides (Vertrauen, Zuverlässigkeit), virtus (Tüchtigkeit, Standhaftigkeit) und pietas (Pflichtgefühl, Frömmigkeit) - um nur einige zu nennen - wurden deshalb nicht nur demonstrativ und verehrend auf den Rückseiten der Münzen dargestellt, sondern hatten sowohl in Rom als auch andernorts Altäre, Kultbilder, Priesterschaft und Tempel sowie den damit verbundenen Kultus.

Besonders wichtig war es für die Römer, am richtigen Ort die richtige Gottheit um das Richtige zu bitten. Das versehentliche oder gar bewußte Mißachten von Gottheiten und ihren Zuständigkeiten mußte unweigerlich ihren Zorn und damit auch die gefürchtete Strafe nach sich ziehen. Deshalb verwundert es nicht, wenn zahlreiche Weihungen kurzerhand an den anonymen Schutzgeist des Ortes (genius loci), »allen Göttern und Göttinnen« (di deaeque omnes) oder auch der »Allgottheit« (Panthea, Pantheus) galten. So machte man nichts falsch, so hielt man sich an die religiösen Verpflichtungen, die man den Göttern gegenüber eingegangen war und auf deren Erfüllung diese einen Rechtsanspruch hatten.

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Thronender Iupiter
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Bacchusbüste
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Die Zeugnisse römischer Staatsreligion - wie auch anderer Kultformen - aus Novaesium-Neuss sind recht spärlich; dies mag Zufall sein und im Forschungsstand begründet liegen. Bislang wurden ja nur die Militäranlagen und wenige Bereiche der Legionscanabae bzw. ihrer Nachfolgesiedlung untersucht. Offizielle Tempel kamen dabei nicht zutage. Vielleicht gehört eine Reliefplatte, die einen Stierschädel (bukranion) mit Wollbinden und Blattumrahmung zeigt und südlich der Legionsfestung gefunden wurde, zu einem repräsentativen Tempelbau. Der Befund am Gepa-Platz in Neuss-Grimlinghausen ist so vieldeutig, daß man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob der dort angeschnittene mehrperiodige Kultbezirk ehemals hauptsächlich dem Jupiter (Iupitersäulenfragmente, s. Abb.; Weihealtar für den Iupiter optimus maximus), den einheimischen Muttergottheiten (Weihestein mit Matronendarstellungen) oder der kleinasiatischen Göttermutter Kybele (vgl. möglicherweise fossa sanguinis) geweiht war. Sicher wurden im Lagerheiligtum, das stets eine bauliche Einheit mit den Principia bildete, sowohl von den Besatzungen der verschiedenen Legionslager als auch von den Hilfstruppen des späteren Auxiliarkastells Jupiter, Juno und Minerva, der vergöttlichte Kaiser und seine Familie sowie die Militärgottheiten Mars und Victoria, aber auch die militärischen genii verehrt. Authentische Hinweise hierfür fehlen jedoch. Der Weihealtar eines Victor für Iupiter optimus maximus wurde außerhalb des sog. Koenen-Lagers gefunden (jetzt Bonn, Rheinisches Landesmus.), eine Weihung für ihn und den Schutzgeist des Ortes (genius loci) war in der Lagermauer verbaut. Der Jupiterkopf, der im Bereich des Legionslagers gefunden wurde und sicherlich zur bekrönenden Sitzstatuette einer für die niedergermanischen Provinz typischen Jupitersäule gehörte (s. Abb.), wird u.U. dorthin verschleppt worden sein. Jupitersäulen, die in der Lagervorstadt bzw. im Auxiliarvicus von Neuss ebenso nachgewiesen sind wie etwa auf dem Gelände des römischen Gutshofes auf dem Galgenberg stellen u.U. schon eine Vermischung der römischen Götterwelt mit einheimischen Religionsvorstellungen dar; dies könnte auch bei der Neusser Merkurweihung des Einheimischen L. Priminius Provincialis der Fall gewesen sein (jetzt Leiden, Rijksmuseum), wenn man bedenkt, daß Merkur nach dem Bekunden antiker Schriftsteller (Caesar, Tacitus) im gallischen Pantheon eine Sonderstellung einnahm und besonders verehrt wurde. Kleine, heute inschriftlose Altärchen - die Weihung war ursprünglich aufgemalt - aus dem Bereich des Legionslagers können leider nicht zugeschrieben werden. Bronzene Laufgewichte in der Gestalt einer Bacchusbüste (2. Hälfte 2. Jahrhundert; s. Abb.) und eines Kopfes mit den Porträtzügen der römischen Kaiserin Livia (l. Hälfte l. Jahrhundert) sind dagegen als deutliche Belege des offiziellen Staatskultes zu werten; der Gott und das vergöttlichte Mitglied der kaiserlichen Familie garantierten die Eichung. Eine recht plumpe Tonstatuette der Venus im Bade (2./3. Jh.), die an der Ecke Sophienstraße/Konradstraße zutage kam, dürfte als bescheidene Devotionalie zu interpretieren sein. Typisch für die römische Staatsreligion und das religiöse Empfinden der Römer ist schließlich die Weihung des Hornisten M. Metionius Mercator, die nicht einer einzelnen Gottheit, sondern allen Göttern (di omnes) galt.

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