In Neuss werden fast täglich römische Münzen verschiedenen Aussehens gefunden, bislang sind es - ohne die Dunkelziffer - an die 10.000 Stück, zu 98% aus unedlem Metall. Nach den Währungsverhältnissen, nach der Kaufkraft zu fragen, nach der Funktion im "Wirtschaftsraum" Novaesium, ist sehr naheliegend. Eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort zu geben, fällt allerdings schwer. Das sollte nicht verwundern.
Wir leben im Zeitalter der Statistiken: wir erfassen den Ausstoß der Münzämter, das Steueraufkommen der Kommunen und der einzelnen Wirtschaftszweige, die Entwicklung der Preise für Konsumgüter, Lebensmittel usw., die Steigerungsraten bei Löhnen und Einkommen etc. Die Antike erstellte derartige Statistiken nicht, und was halbwegs informativ sein könnte, etwa der Prägeauftrag für eine bestimmte Münzsorte, eine große Zahl von Warenpreisen für unsere Gegenden und über die ganze Zeit der Römerherrschaft gestreut, fehlt gleichfalls. Eine gezielte Geldmengenpolitik wie die der Bundesbank, eine planmäßige Berücksichtigung der Wirtschaft (den Begriff im heutigen Sinne kannte die Antike überhaupt nicht!) hat es allenfalls nur ansatzweise gegeben.
Wir müssen also die Münzen selbst befragen, d.h.: das Vorkommen oder das Fehlen der einzelnen Prägungen bei uns, ihre Häufigkeit, ihre Behandlung durch die damaligen Menschen (Abnutzung, Veränderung, Hortung u.a.m.) geographisch und zeitlich vergleichend ermitteln und daraus unsere Schlüsse ziehen. Für den Geldumlauf kommt man so zu leidlichen Ergebnissen, der Geldwert ist auf diese Weise aber nicht zu bestimmen: Einem Pfennig ist seine Kaufkraft nicht anzusehen und auch nicht einer reich gespickten Börse. Wir sind somit zur Feststellung des Geldwerts auf Daten aus anderen Teilen des Imperiums angewiesen, und die sind gar nicht dicht gesät und zudem für unsere Gegenden von zweifelhafter Aussagekraft. Doch davon später. Wenden wir uns zunächst dem Geldumlauf zu.
Die Römer haben ihr Imperium aus einer Vielzahl von Staaten und Stämmen höchst unterschiedlicher Kultur- und Wirtschaftsentwicklung zusammenerobert. Bei aller im Lauf der Zeit eingetretenen oder bewußt eingeleiteten Vereinheitlichung ("Romanisierung") wollten und konnten die Römer nicht alles über einen Kamm scheren. Solange Einrichtungen der Angegliederten oder Unterworfenen ungefährlich und im Rahmen des Reichsganzen funktionstüchtig oder jedenfalls nicht hinderlich schienen, ließ man sie bestehen. Das gilt auch weithin in der Frühzeit für die lokalen Münzprägungen - der eigenen wandten übrigens die Römer der Republik und der beginnenden Kaiserzeit nach unseren Begriffen auch recht wenig Aufmerksamkeit zu. Die Folge davon war, daß Münzen ganz verschiedenen Alters (100 und mehr Jahre auseinanderliegend) zusammen zirkulierten, daß neben frischen Prägungen abgegriffene bis unkenntliche Stücke standen, neben den für den Umlauf im Gesamtimperium ausgebrachten Münzen der Reichsprägestätten provinziale, lokale, schließlich durch die Soldaten oder Händler aus fernen Reichsgegenden eingeschleppte Exemplare. So finden sich in Neuss außer den Reichsprägungen die wohl für Gallien geprägten Münzen mit dem Lyoner Altar, Münzen der Römerstädte (von Lyon, Vienne, Nîmes), Münzen der Griechenstadt Massilia (Marseille) und der Gallier aus der Zeit vor sowie nach ihrer Unterwerfung, dazu Münzen spanischer Römerstädte sowie vereinzelt numidische (nordafrikanische) und solche aus dem griechischen Mutterland (Durazzo und Saloniki).
Die zuletzt genannten "Exoten" sind auch sonst im römischen Germanien vorhanden. Die große Masse der nicht aus Reichsmünzstätten stammenden Münzen stellen die Prägungen der gallischen Römerstädte, die Provinzialmünzen mit dem Lyoner Altar und die Münzen der gallischen Stämme aus der Zeit vor und (besonders) nach ihrer Unterwerfung. Die sog. Aduatuker-Münzen stammen vielleicht von den Ubiern, wären also als "germanisch" zu bezeichnen. Es ist eben das Geld der Umgebung. Die römischen Münzen spanischer Städte spiegeln vornehmlich den einstigen Standort mancher nach Novaesium verlegter Einheiten.
Die Vermutung, ein derartiges Tohuwabohu von Münzen verschiedener Herkunft, Größe und Metall habe die Benutzer vor große Probleme gestellt, ist nicht berechtigt. Die Fundverhältnisse zeigen nämlich, daß fremde Geldstücke je nach Größe und Metall bzw. Metallegierung in das römische System der Wertstufen eingepaßt wurden, wobei man kleine Unterschiede wohl nicht allzu genau nahm. Das ging um so einfacher, als fremde Münzen in Edelmetall nur in ganz geringem Maße zu integrieren waren: Sie waren bereits von den Eroberern abkassiert, und die Unterworfenen besaßen nur das Recht zur Münzung in unedlem Metall, Und dabei ging es durchweg um Kreditgeld.
Im Laufe der Zeit, d.h. unter Tiberius (14-37) einsetzend, schwand die Buntheit: lokale Münzen zirkulierten nur noch vereinzelt, selbst die Provinzialprägungen mit dem Lyoner Altar wurden merklich seltener, gegen Ende des 1. Jhs. hatte sich die Reichsprägung so gut wie total durchgesetzt. Das ist das Ergebnis der Romanisierung der Westprovinzen des Reiches, aber auch das Ergebnis einer strafferen Geldpolitik.
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