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Heilkunst in Novaesium
 

Rom. Detail der Traianssäule
Rom. Detail der Traianssäule (Anf. 2. Jh.)
Behandlung verwundeter Soldaten nach der Schlacht.

Außer dem gut dokumentierten Militärlager erhält der Fundort Neuss noch durch einen weiteren Befund große Bedeutung und zwar nicht nur für die provinzialrömische Archäologie, sondern auch für die Medizingeschichte: Hier ist zum ersten Mal ein in Stein errichtetes Krankenhaus (valetudinarium) archäologisch erfaßt und als Lazarett eines Militärlagers erkannt worden.

Die Einrichtung eines öffentlichen Krankenhauses, in das der Kranke gehen konnte, um sich ärztlich behandeln und pflegen zu lassen, gab es in der Antike nicht. Medizinische Versorgung war Privatsache. Wer den Arzt brauchte, suchte seine Praxis auf oder ließ ihn zu sich nach Hause kommen. Eine Ausnahme davon bildete das Militär. Durch den augusteischen Gelehrten C. Iulius Hyginus ist bekannt, daß jedes größere Kastell auch ein Lazarett besaß. Der Begriff valetudinarium stammt allerdings aus einem ganz anderen Zusammenhang: Die großen Gutsbetriebe der Kaiserzeit, die Latifundien, besaßen natürlich eine hohe Zahl von Sklaven, welche die Arbeit auf den Feldern oder im Haushalt verrichteten. Ihre Anschaffung und Haltung kostete viel Geld und ihre Besitzer waren, wie bei teuren Arbeitsgeräten, selbstverständlich an der Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit interessiert. Zu diesem Zweck gab es dort, nach Aussage der Schriftquellen, für die Pflege von kranken oder auch nur überanstrengten Sklaven entsprechende Erholungsstationen, die valetudinaria genannt wurden. Eine ähnliche Einstellung stand wohl auch hinter der Errichtung von Lazaretten für die Legionäre, in deren Ausbildung und Ausstattung der Staat ebenfalls enorme Summen investiert hatte.

Valetudinarium
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Neben den Hinweisen in der antiken Literatur fehlten aber lange Zeit archäologische Belege für die Existenz eines solchen Militärlazaretts. Ende des 19. Jahunderts wurden in Bonn ein Altar und ein Inschriftenstein gefunden, die eine solche Einrichtung dort bezeugten. Es lag also nahe, gleiches auch für das Lager Novaesium zu vermuten. Im Herbst 1897 war es dann soweit. Im Rahmen der Ausgrabungen im Bereich des Kastells gelang es, die Grundmauern eines etwa 90 m langen und etwa 50 m breiten Atriumkomplexes freizulegen, der von Constantin Koenen Bau 105 genannt wurde. Der Baukomplex, westlich des Legatenpalastes und nördlich der via quintana gelegen, hatte beachtliche Ausmaße: In seinem nordöstlich gelegenen Haupttrakt befand sich eine ca. 27 m tiefe und 15 m breite Halle. Um den südwestlich gelegenen, länglichen Innenhof waren drei Zimmertrakte gelegt. Jeder hatte einen Mittelflur, an dem rechts und links die Zimmer angeordnet waren. Koenen sprach hier von einem inneren und äußeren Zimmerkranz. Die Zimmer waren in der Regel zu Gruppen von jeweils drei Räumen geordnet: Vom Flur aus gelangte man zunächst in einen Vorraum, durch den nach links oder rechts jeweils ein über 5 m tiefer und über 3,50 m breiter Raum betreten werden konnte. Die Fundamente des Komplexes bestanden im wesentlichen aus Basalt. Die Wände waren aus Tuff- und Kalkstein errichtet. Bis zu dem Zeitpunkt seiner Entdeckung war aus keinem anderen Militärlager ein Bau vergleichbaren Typs bekannt.

Digitale Rekonstruktion des Valetudinariums Digitale Rekonstruktion des Valetudinariums
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Arztinstrumente
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Da es für einen derartigen Grundriß damals somit keine Parallele gab, blieb die Funktion des Gebäudes zunächst unbekannt. Die Erkenntnis, daß es sich hier um die Reste eines Lazaretts handelte, kam schließlich mit der Entdeckung zahlreicher medizinischer Instrumente in einem der Zimmer (Nr. 50). 1904 veröffentlichte Hans Lehner eine Übersicht aller in Novaesium gefundener chirurgischer Geräte und Instrumente: Dazu zählen "zwei Skalpelle mit einsteckbarer Eisenklinge und lanzettblattförmigen Griffen, ein Elevator oder großer Salbenstreicher(?), zwei Ohrenlöffelchen (Eiterlöffelchen?) und zwei langlöffelige Sonden" (R. Watermann) sowie zwei Spatelsonden und der Rest einer Feldsalbenbüchse.

Anhand des Befundes ließen sich auch Aussagen zur Kapazität des Lazaretts gewinnen: Neben den Behandlungsräumen und anderen Versorgungseinrichtungen besitzt es rund 40 einfache Krankenzimmer von jeweils ca. 5 x 3 m Größe, in denen jeweils etwa 5 Patienten untergebracht werden konnten. Demnach konnte der Bau im Regelfall ca. 200 Kranke aufnehmen. Dem Kontext entsprechend wird es sich bei diesen meist um Soldaten gehandelt haben. Daneben wurden aber auch anders gestaltete Zimmer festgestellt, die offenbar nicht der Behandlung dienten oder Versorgungsfunktionen übernahmen. Der Medizinhistoriker Rembert Watermann vermutet, daß dort Unteroffiziere oder andere höher chargierte Spezialisten in Einzel- oder Zweibettzimmer gepflegt wurden. Die medizinische Versorgung hoher Offiziere erfolgte wahrscheinlich in deren eigenen Wohnungen im Kastell.

Das valetudinarium von Novaesium wurde wahrscheinlich von der legio XVI in Stein errichtet, die um 43 hier ihr Standlager bezog. Es ist jedoch anzunehmen, daß auch die Vorgängerlager Lazarette besaßen, von denen sich jedoch keine Reste nachweisen ließen. Der Neusser Bau war nicht die früheste Einrichtung seiner Art in der römischen Provinz. Bereits aus augusteischer Zeit stammt das zumindest im Grundriß bekannte valetudinarium in Haltern. Weitere ebenfalls in Stein errichtete valetudinaria sind unter anderem für Vindonissa (Windisch/Schweiz), Carnuntum (Niederösterreich) und Vetera (Xanten) nachgewiesen. Sie werden allerdings nur wenig früher datiert als der Neusser Bau.

Es ist bekannt, daß der Stand des medizinischen Handwerks in der Antike ein hohes Niveau hatte. Neben den genannten Instrumenten belegen dies auch beispielsweise die acht detaillierten Bücher über die Arztkunst des Celsus aus der Zeit um 30 n.Chr. oder die Schriften des Artes Galen aus dem 2. Jahrhundert n.Chr. Auch die Pharmazie war sehr weit ausgebildet. Im Prinzip haben sich die medizinischen Kenntnisse allgemein bis ins 19. Jahrhundert hinein kaum über das in der römischen Antike erreichte Niveau hinausentwickelt. Aus verschiedensten Bestandteilen wurden Tinkturen, Salben und Pulver zubereitet und die Rezepte in Büchern aufgeschrieben. Ein beeindruckendes Zeugnis dafür sind die Schriften des Griechen Pedanios Dioskurides aus Kilikien (südöstliches Kleinasien), der Militärarzt unter Claudius und Nero war und als der berühmteste Pharmakologe des Altertums gilt. Im Mittelalter und in der Renaissance war seine Arzneimittellehre das maßgebende Lehrbuch. In Novaesium haben sich Reste einer Apotheke erhalten, die allem Anschein nach bei der Zerstörung des Lagers im Bataveraufstand 69/70 n.Chr. ebenfalls in Flammen aufging: Tausendgüldenkraut, Thymian, Bilsenkraut, Bochshornklee, Johanniskraut und Eisenkraut konnte der Archäobotaniker Karl-Heinz Knörzer im nordöstlichen Bereich des valetudinariums in einer Brandschicht nachweisen. Verkohlt und auf verwittertem Kalkstein relativ gut vor dem Verfall geschützt waren Reste dieser Heilpflanzen neben den Spuren vermutlich eines Regals erhalten geblieben.

Literatur:

  • Knörzer, K.-H.: Römerzeitliche Pflanzenfunde aus Neuss, Novaesium IV, Limesforschungen 10 (Berlin 1970).
  • Ders.: Römerzeitliche Heilkräuter aus Novaesium, Neusser Jahrbuch 1968 (1968) 33.
  • Ders.: Römerzeitliche Heilkräuter aus Novaesium, Sudhoffs Archiv 47, 1963, 311 ff.
  • Waterman, R.: Medizinisches aus dem frühen Novaesium, in: Novaesium - Neuss zur Römerzeit, Schriftenreihe der Volkshochschule Neuss, Heft 4 (Neuss 1989) 83-97.
  • Ders.: Valetudinarium. Das römische Legionskrankenhaus, Ausstellungskatalog des Clemens-Sels-Museums (Neuss 1978).
    Übergreifende Literatur:
  • Baker, P. A.: Medical care for the Roman army on the Rhine, Danube and British Frontiers in the first, second and early third centuries AD, BAR International series 1286 (Oxford 2004).
  • Cruse, A.: Roman medicine (Stroud 2004).
  • Davies, R. W.: The roman military medical service, Saalburg-Jahrbuch 27 (1970) 84-104.
  • Fischer, Th. in: ders. (Hrsg.): Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie (Stuttgart 2001) 183. 354 (Lit.).
  • Garnerus, K.: Die Versorgung von Schußverletzungen bei den Römern, Römisches Österreich 8 (1980) 55-64.
  • Hauff, E.: Die medizinische Versorgung von Carnuntum, Carnuntum-Jahrbuch (1993/94) 89-196.
  • Krause, O.: Der Arzt und sein Instrumentarium in der römischen Legion während der Kaiserzeit (unveröff. Magisterarbeit, Univ. Mainz 2003).
  • Ders.: Verwundungen und blutige Verluste. Was passierte nach der Schlacht? Die medizinische Versorgung der römischen Legion während der Kaiserzeit, Antike Welt 35 (2004) 15-20.
  • Krug, A.: Heilkunst und Heilkult. Medizin in der Antike, 2. Aufl. (München 1993) bes. 204-208.
  • Künzl, E.: Die medizinische Versorgung der römischen Armee zur Zeit des Augustus und die Reaktion der Römer auf die Situation bei den Kelten und Germanen, in: R. Aßkamp - S. Berke (Red.), Die römische Okkupation nördlich der Alpen zur Zeit des Augustus, Kolloquium Bergkamen 1989, Bodenaltertümer Westfalens 26 (Münster 1991) 185-202.
  • Ders.: Medizin in der Antike. Aus einer Welt ohne Narkose und Aspirin (Stuttgart 2002) bes. 26 ff.
  • Leven, K.-H.: Antike Medizin. Ein Lexikon (München 2005).
  • Matthäus, H.: Der Arzt in römischer Zeit, Schriften des Limesmuseums Aalen 43 (Stuttgart 1989).
  • Nutton, V.: Ancient medicine (London 2004).
  • Stille, G.: Kräuter, Geister, Rezepturen. Kulturgeschichte der Arznei (Stuttgart 2004).
  • Wilmanns, J. C.: Der Sanitätsdienst im Römischen Reich. Eine sozialgeschichtliche Studie zum römischen Militärwesen nebst einer Prosopographie des Sanitätspersonals, Medizin der Antike 2 (Hildesheim u.a. 1995).
  • Wittern, R.; Pellegrin, P.: Hippokratische Medizin und antike Philosophie, Verhandlungen des VIII. Internationalen Hippokrates-Kolloquiums in Kloster Banz/Staffelstein vom 23. bis 28. September 1993, Medizin der Antike 1 (Hildesheim u.a. 1996).

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