Die älteste Nachricht über Germanen findet sich in dem um 80 v. Chr. niedergeschriebenen Geschichtswerk des Poseidonios von Apameia. Als Zitat aus dem 30. Buch ist ein Satz über die Essgewohnheiten von Germanen überliefert: Als Hauptmahlzeit nähmen sie gliedweise gebratenes Fleisch zu sich, sie würden auch Milch trinken und Wein, diesen jedoch unvermischt. Diese uns Heutige banal anmutende Aussage enthielt für den gebildeten Leser der Antike eine sehr genaue Charakterisierung des zivilisatorischen Niveaus jener Germanen: Sie zählten eindeutig zu den Barbaren, waren unzivilisierte Wilde, die nicht nach geschriebenem Recht und nicht in staatlicher Ordnung lebten. Der Ausgangspunkt der Geschichte der Germanen ist durch diese scheinbar beiläufige Bemerkung zutreffend bezeichnet.
Diese Nachricht und andere ihrer Art ließen im 1. Jahrhundert v. Chr. bei Römern und Griechen einen vorher ungebräuchlichen ethnographischen Begriff aufkommen. Die Angehörigen von Völkern, die zwischen Rhein, Donau und Weichsel und bis hinauf nach Skandinavien siedelten, wurden nun zum ersten Mal als Germanen bezeichnet und ihr Land als Germanien. Bis dahin hatte in der zivilisierten Welt des Mittelmeerraums die Vorstellung geherrscht, jenseits der Alpen würden im Westen die Kelten, im Osten die Skythen wohnen; von einem Volk dazwischen, zumal von einem großen, wusste man nichts. Man konnte davon auch nichts wissen, weil es dieses Völkergebilde »Germanen« noch gar nicht gab. Es ist erst gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. entstanden.
Eine Generation nach Poseidonios war es Caesar, der in starkem Maße den Germanenbegriff und mehr noch den Begriff von Germanien als dem Territorium der germanischen Stämme geprägt hat. Für ihn endete Gallien, das er in den Jahren 58 bis 51 v. Chr. der römischen Herrschaft unterworfen hatte, am Rhein, und was jenseits des Rheins lag, war für ihn Germanien. Das war mehr ein politischer Willensakt, als dass es den ethnographischen Realitäten entsprochen hätte; denn es lebten damals noch keltische Volksgruppen östlich des Rheins ebenso wie germanische, das heißt solche rechtsrheinischer Herkunft, westlich des Flusses, und diese Sachverhalte waren Caesar sehr wohl bekannt. Auch die archäologischen Fundgruppen dieser Zeit, aus der Epoche der späten La-Tène-Kultur, lassen keine Kulturscheide am Rhein erkennen, weisen vielmehr den Rhein kreuzende, westöstlich verlaufende Verbreitungsfelder auf. Gleichwohl hat sich die politische Entscheidung Caesars, den Rhein als Grenze zwischen Gallien und Germanien anzusehen, auch in ethnographischer Hinsicht differenzierend ausgewirkt: Wer fortan östlich des Rheins siedelte, befand sich damit von selbst in einem germanischen Milieu, galt aller Welt als germanisch, empfand sich schließlich selbst so und war es demzufolge auch.
Abermals anderthalb Jahrhunderte nach Caesar hatte Tacitus verhältnismäßig klare Vorstellungen von den Grenzen Germaniens, soweit sie mit Grenzen des römischen Imperiums zusammenfielen: Sie lagen im Süden an der Donau und im Westen am Rhein. Unsicher war sich Tacitus hinsichtlich der Grenze im Osten - er vermutete sie ungefähr im Weichselgebiet -, und im Norden rechnete er ganz Skandinavien bis zum Eismeer zu Germanien.
Tacitus wusste noch sehr genau, wie die Begriffe »Germanien« und »Germanen« entstanden waren, womit zugleich etwas gesagt wird über die Herausbildung dessen, was mit diesen Namen bezeichnet wurde. Im 2. Kapitel seiner gegen 100 n.Chr. abgefassten Schrift »De origine et situ Germanorum« (Über den Ursprung und die Lage der Germanen), meist kurz »Germania« genannt, hat er, wie der Titel besagt, auch den Ursprung der Germanen behandelt. Er legt dar, dass sich die germanischen Stämme in drei Gruppen gliedern, die nach den drei Söhnen des mythischen Stammvaters aller Germanen benannt seien, den Söhnen also des Mannus, der seinerseits ein Sohn des erdentsprossenen Gottes Tuisto gewesen sei. Die Ingwäonen (lateinisch Ingaevones) seien an der Meeresküste wohnhaft, die Herminonen in der Mitte Germaniens, und den Istwäonen (Istaevones) seien alle übrigen Stämme zuzuordnen. Gleich im Anschluss daran muss Tacitus jedoch einräumen, dass es eine Reihe von Stämmen gibt, die nicht in diese Ordnung passen, darunter so bedeutende wie die Sweben (Sueben) und die Wandalen (Vandalen), die von ihm Vandilii genannt werden.
Stammesnamen dieser Art bezeichnet er dessen ungeachtet als die echten und alten Völkernamen (vera et antiqua nomina) und lässt sich dann über den neu aufgekommenen Gesamtnamen der Germanen aus:
Die Bezeichnung »Germanien« sei noch neu und erst kürzlich geprägt worden. Das sei so gekommen: Ein aus dem Rechtsrheinischen nach Gallien eingedrungener Stamm - dessen Angehörige inzwischen übrigens als Tungrer bezeichnet würden - sei zuerst mit dem Namen »Germanen« belegt worden. Mit der Zeit habe sich der Name dieses Einzelstammes als Bezeichnung für die ganze Gruppe der mit ihm verwandten rechtsrheinischen Stämme durchgesetzt; als Germanen im umfassenden Sinn seien diese also zuerst von den Galliern bezeichnet worden und hätten alsbald den Namen, so wie er nun einmal aufgekommen war, auch selbst verwendet.
Das klingt nach allem nicht unglaubwürdig: In den Tagen des Tacitus war man sich noch bewusst, dass sowohl der Name »Germanen« als auch die so benannte ethnische Einheit verhältnismäßig junge Erscheinungen waren, dass beides sich erst in jüngerer Zeit herausgebildet hatte und dass man als Germanen zuerst keine große Volksgruppe, sondern einen Einzelstamm bezeichnet hat. Diesen dürfte Poseidonios im Auge gehabt haben, als er, wie eingangs geschildert, von den Essgewohnheiten »der Germanen« berichtete.
© Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2001
[ 1 ] Der Artikel stammt aus "Der Brockhaus multimedial 2001 premium" (urspr. veröffentlicht in: Die Weltgeschichte, Bd.
2: Antike Welten, hrsg. v. d. Brockhaus-Redaktion [1997] 48-77) und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages wiedergegeben. Der Autor, Dr. Hermann Ament, ist Professor emeritus am Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Mainz.
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