Novaesium, alias Neuss

Wachttürme am Limes

Limes-Wachturm. Rekonstruktion und Querschnitt
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Eines des wesentlichen Elemente des römischen Limes in Germanien waren die unzähligen Wachttürme. Ihre Funktion war die Überwachung der jeweiligen Limesabschnitte und nicht deren Verteidigung. Daher war die Kommunikation zwischen den einzelnen Türmen sowie zwischen diesen und den nächstgelegenen Kastellen unbedingte Voraussetzung für die Wirksamkeit des Limes. Daraus leitete sich die gegenseitige Sichtbarkeit als entscheidendes Kriterium für die Lage der Türme ab, weshalb die Abstände zwischen ihnen relativ stark variierten: zwischen 200 m bei unübersichtlichem und bis zu 1 km bei offenem Gelände. Der Limes konnte zwar in keiner der Ausbauphasen irgendwelche Angriffe abwehren, in den Türmen aber sollten die Wachmannschaften (4-5 Soldaten) sich so lange halten können, bis Verstärkung aus den umliegenden Kastellen eingetroffen war.

An den älteren Limesstrecken sind zunächst nur Holztürme errichtet worden. Falls von einem solchen Turm heute noch Spuren sichtbar sind, sieht man einen Erdhügel, der von einem Graben umzogen wird. Dieser Graben kann im Grundriß kreisförmig sein, es gibt aber auch quadratische Gräben. Der Umfassungsgraben diente der Entwässerung. Ob in manchen Fällen Pallisaden darin standen, worauf einige alte Beobachtungen hinzudeuten scheinen, ist zweifelhaft.

Seit der Mitte des 2. Jhs. wurden die alten Holztürme am Limes durch die dauerhafteren Steintürme ersetzt. Diese hatten einen ähnlichen Aufbau wie die Holztürme. Über einem in der Regel unzugänglichen Erdgeschoß erhob sich das erste Obergeschoß, das als Wohngeschoß diente, mit dem Eingang. Darüber befand sich das zweite Obergeschoß für den Wachdienst. Anhand von Funden konnte nachgewiesen werden, daß zumindest manche Steintürme weiß verputzt gewesen waren. In diesen Verputz sind Quaderfugen eingeritzt worden, die mit roter Farbe ausgefüllt gewesen waren.

Die Steintürme haben in der Regel einen quadratischen Grundriß von 4,8 bis 6 m Seitenlänge. Ihre Abmessungen sind demnach ähnlich wie die der älteren Holztürme. Die Mauerstärke betrug am Fuß des Erdgeschosses 0,7 bis 1,0 m. Die Mauer war aus Bruchsteinen in Handquaderwerk aufgeführt, die mit Kalkmörtel gebunden waren. Ein Eingang zu ebener Erde wurde bei keinem Turm festgestellt. Der Turmeingang muß infolgedessen erhöht gewesen sein. Nach oben verjüngte sich das Mauerwerk.

Auf der obigen Zeichnung ist ein Schnitt durch einen rekonstruierten Steinturm mittlerer Größe zu sehen. Für das Obergeschoss sind zwei Varianten denkbar: links mit umlaufender Außengalerie, rechts mit großen Außenfenstern. Die Seitenlänge dieses Turms beträgt etwa 4,80 m. Solche massiven Wachttürme konnten einer kurzen Belagerung durchaus standhalten. Im Inneren hatten die Wachmannschaften alles gelagert, was sie zum täglichen Leben benötigten.

Es ist bemerkenswert, daß fast nirgends Reste einer Dachbedeckung gefunden wurden. Eine Ausnahme sind Fundstätten am Nordende des obergermanischen Limes, wo in vielen Turmruinen Dachschiefer zutage gekommen sind. Dadurch ist bewiesen, daß diese Türme Dächer hatten und nicht etwa mit einer zinnengekrönten Plattform abgeschlossen waren. Dachziegelfunde sind bei Limestürmen außerordentlich selten, und wenn dies der Fall war, wies der Turm auch in anderer Hinsicht ungewöhnliche Eigenheiten auf.

Aus den genannten Umständen ist zu schließen, daß die Dächer aus vergänglichem Material bestanden haben müssen. In Betracht kommen Stroh- oder Schindeldächer. Da der Limes weite Waldgebiete durchzieht, werden wahrscheinlich Schindeldächer vorgezogen worden sein; Schindeln sind auch am Limes durch Funde nachgewiesen. Zu dieser Dachdeckung gehörten sicherlich auch viele der Eisennägel, die in den Turmruinen gefunden worden sind. Zudem tragen auch die Wachtürme auf dem Relief der Trajanssäule Schindeldächer.

Das Turminnere sah im Erdgeschoß einfach aus. Meistens bildete ein festgestampfter Lehmestrich den Fußboden. Nur je einmal hat man einen Steinplattenbelag oder Abdrücke von Fußbodenbrettern gefunden. Sonst muß wohl immer eine hölzerne Leiter oder Stiege die Verbindung zu den höheren Turmgeschossen hersgestellt haben.

Trajanssäule. Detail
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Als im 19 Jh. zunehmend die römische Vergangenheit in den Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit und Altertumsforschung geriet, wurde in der Rekonstruktion der durch Ausgrabungen bekannten Baudenkmäler eine willkommene Möglichkeit gesehen, der Bevölkerung diesen Abschnitt ihrer eigene Geschichte auch dinglich, monumental vor Augen zuführen. Neben den Kastellen galten die Wachtürme dafür als besonders attraktiv. 1867 wurde erstmals von Bürgern der Stadt Ems die Rekonstruktion eines Wachturms errichtet. Bis heute sollten insgesamt 20 weitere folgen. Ihre Authentizität ist aber durchweg problematisch, da am obergermanischen-raetischen Limes meist nur die Fundamente und nur selten noch einige Schichten des aufgehenden Mauerwerks gefunden worden. Es gibt somit keine gesicherten archäologischn Kenntnisse über das Aussehen der höheren Stockwerke. Die Planer der 'modernen' Turmbauten griffen und greifen daher zu einer Notlösung. Sie orientierten sich mehr oder weniger eng an den Abbildungen von insgesamt drei Wachtürmen des moesischen Donau-Limes, die auf dem unteren Beginn des Relief-Spiralbandes der Trajanssäule in Rom zu sehen sind (s. Abb. rechts). Das Thema dieser Reliefs sind die zwei Daker-Kriege unter Trajan in den Jahren 101-102 und 105-106. Dieses Kopierverfahren ist aber aus dreierlei Gründen problematisch: 1. Die auf der Säule abgebildeten Türme sind keine des germanischen Limes, 2. dessen steinernen Wachtürme sind erst später, seit der Mitte des 2. Jhs. errichtet worden, und 3. die Türme auf den Reliefs sind nicht photographisch exakt dargestellt, da es in diesem Fall nicht um eine präzise Architekturdarstellung ging, sondern schematisch verzerrt: Die Reliefs zeigen zweigeschossige Türme, die durchgehend aus Steinmauerwerk in Quadertechnik erichtet und mit einem Zeltdach aus Schindeln gedeckt sind. Um das Obergeschoß ist eine hölzerne Galerie mit Geländer angebracht. Aus einem Fenster oder einer Tür im Obergeschoß ragt eine brennenden Signalfackel heraus.
Trotz dieser Einschränkungen, wie gesagt, wurde und wird dieser Typus für Rekonstruktionen herangezogen, wobei man sich aus praktischen Erwägungen meist für einen dreistöckigen Turm entscheidet. Die Fragen nach der ursprünglichen Höhe bzw. Zahl der Geschosse, nach der Existenz einer Holzgalerie sowie nach der Art der Dachdeckung müssen in den meisten Fällen jedoch unbeantwortet bleiben.

Literatur:

  • Baatz, D.: Die Wachttürme am Limes, Kleine Schriften zur Kenntnis der römischen Besatzungsgeschichte Südwestdeutschlands Nr. 15 (Stuttgart 1976).
  • Ders.: Der römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau, 4. Aufl. (Berlin 2000) 42-45.
  • Schmidt, H.: Archäologische Denkmäler in Deutschland - rekonstruiert und wieder aufgebaut, Sonderheft 2000 der Zeitschrift 'Archäologie in Deutschland' (Stuttgart 2000) 98-110.
  • Schmidt, M.: Limestürme am obergermanisch-rätischen Limes (ORL), Zeitsprünge 7 (2009) 10-16.

Weitere Informationen im Internet:
Entwicklung und Aussehen der Limesanlagen, aus: Egon Schallmayer, Der Obergermanisch-raetische Limes. Die Grenze des Imperium Romanum im heutigen Deutschland (Schwerpunktthema bei Archäologie-Online)

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