Im Rahmen ländlicher Siedlungen, wie sie eben geschildert wurden, vollzog sich nicht nur die landwirtschaftliche Produktion, sondern fanden auch handwerkliche Tätigkeiten ihren Raum, in erster Linie zur Befriedigung des örtlichen Bedarfs. Den Frauen oblag die Herstellung von Textilien durch Spinnen und Weben, während das Gerben von Leder und dessen weitere Verarbeitung mehr Sache der Männer gewesen sein dürfte. Das Arbeiten mit Holz - Zimmern beim Hausbau, Tischlern, Drechseln, Schnitzen von Kleingerät -, die Verhüttung und das Schmieden von Eisen, das Verarbeiten von Buntmetallen und Bein, ja sogar die Herstellung von Tongefäßen vollzogen sich dezentral in ländlichen Siedlungen und lagen dort in den Händen von Personen unterschiedlichen Spezialisierungsgrades, die aber stets noch in den landwirtschaftlichen Produktionsprozeß eingebunden blieben.
Für den überörtlichen Bedarf arbeitende Handwerksbetriebe und Manufakturen scheint es nur verhältnismäßig selten gegeben zu haben. In der Lysa Gora im südlichen Polen ist der Abbau von Eisenerz und dessen Verhüttung zeitweise in großem Maßstab betrieben worden. Aus Thüringen ist ein Töpfereibetrieb bekannt geworden, der in der jüngeren Kaiserzeit offenbar mit römischem Personal eine qualitativ hoch stehende, scheibengedrehte Gefäßkeramik hergestellt und weiträumig abgesetzt hat. Auch die Goldschmiedearbeiten von hoher Qualität, wie sie aus nicht wenigen reich ausgestatteten Gräbern vorliegen, müssen in spezialisierten Ateliers für einen weit gestreuten Kundenkreis angefertigt worden sein. Aber selbst solche Produktionsstätten hat man sich mangels einer städtischen Alternative in einem ländlichen Milieu angesiedelt zu denken.
Bei einer so weitgehend auf Autarkie eingestellten Gesellschaft ist nicht zu erwarten, daß die Mechanismen einer weiträumigen Warendistribution, namentlich durch Handel, in besonderem Maße ausgebildet waren. Städtische Siedlungen oder sonstige größere Agglomerationen, die günstige Absatzchancen geboten hätten oder mit Hafen und Markt als Umschlagplätze für Waren hätten dienen können, waren nicht einmal ansatzweise vorhanden. Ein Wegenetz hat es sicher gegeben, das einzelne Siedlungen verband, auch über größere Entfernungen hinweg. Aber das waren keine für den Wagenverkehr ausgebauten Straßen wie im Römischen Reich, und allenfalls einige Bohlenwege in norddeutschen Moorgebieten können als Belege eines Kunststraßenbaus in Germanien angeführt werden. Wagen waren zwar gebräuchlich, werden zum Beispiel wiederholt im Zusammenhang mit Wanderzügen von Germanen erwähnt, doch gibt es keine Hinweise dafür, dass sie einem weiträumigen und umfangreichen Warenverkehr gedient hätten. Entsprechendes gilt für Schiffe.
Für die Römer wertvoll: Pelze, Bernstein und blondes Frauenhaar
Einen gegenteiligen Eindruck erweckt lediglich der römische Import: Gegenstände des gehobenen Bedarfs, teils sogar ausgesprochene Luxusgüter, sind bis in die hintersten Winkel Germaniens gelangt, und nicht einmal selten. Vielfach mögen römische Tafelgeschirre und andere Attribute feiner Lebensart als Ehrengeschenke zu politischen Zwecken in den Besitz germanischer Herren gelangt sein, anderes mag aus der Beute germanischer Einfälle in die römische Provinz stammen, und gewiß haben germanische Söldner nach ihrem Militärdienst im Römerreich manches Stück mit nach Hause gebracht. Zu einem gewissen Teil dürften solche römischen Produkte aber auch als Handelsgüter nach Germanien gelangt sein. Man fragt sich allerdings, welche Äquivalente den umgekehrten Weg aus Germanien zu den Römern genommen haben: Pelze und Bernstein vermutlich, wohl auch Sklaven, nicht zu vergessen blondes Frauenhaar, das, wie berichtet wird, von vornehmen Römerinnen zur Ausstaffierung ihrer Frisur sehr geschätzt wurde. Besonders rege und sozusagen alltäglich war der Handel mit den Römern nur in den grenznahen Bereichen. Wie der hohe Anteil römischer Keramik in germanischen Siedlungen nahe der Reichsgrenze andeutet, erstreckte sich hier der Austausch von Gütern auch auf die Gegenstände des täglichen Gebrauchs, auf Küchengeschirr und landwirtschaftliche Produkte.
Römisches Geld war in Germanien allenthalben bekannt und im Besitz von vielen. Soweit es aus Edelmetall bestand, wurde es zur Thesaurierung, zum Ansammeln und Aufbewahren eines Vermögenswertes, benutzt, sicher auch zuweilen als Wertäquivalent beim Tauschhandel. Von einer regelrechten Geldwirtschaft kann aber keine Rede sein, geschweige denn von eigener Münzprägung. Erst in den nachantiken Germanenstaaten auf römischem Reichsboden ist es zu den ersten Münzprägungen durch Germanen gekommen. Was im Innern Germaniens an römischen Geprägen zuerst nachgeahmt wurde - in Gestalt der nordischen goldenen Schmuckscheiben (Brakteaten) -, waren nicht Münzen, sondern Medaillons, Repräsentationsstücke also, die mit Kommerz nichts zu tun hatten, wohl aber mit Kunst.
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