Tabula Peutingeriana
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Landwirtschaft und Ernährung
von Karl-Heinz Knörzer
I. Agrarsituation in römischer Zeit IV. Arbeitsweisen & Lebensbedingungen
II. Bevölkerung & Siedlungsweise V. Erzeugnisse & Ernährung
III. Anbauverfahren & Geräte VI. Literatur & Verweise

Erzeugnisse der rheinischen Landwirtschaft und die Ernährung der Bevölkerung

Die schriftlichen Überlieferungen geben nur unvollständige und oft mehrdeutige Aufschlüsse über die Nahrungsmittel in römischer Zeit. Diese Lücken unserer Kenntnisse konnten inzwischen durch Untersu-chungen der pflanzlichen und tierischen Überreste aus den Bodenabla-gerungen jener Zeit ausgefüllt werden:

a) Tierische Nahrungsmittel

Bei Ausgrabungen werden nicht selten Knochen von Wirbeltieren gefunden. Auch an einzelnen Knochen kann man die Tierart erkennen. Dabei sind gelegentlich sogar Rückschlüsse auf die Rasse und die Größe der Tiere möglich.

Nach der Menge der Knochenfunde waren Rinder die wichtigsten Tiere auf dem Bauernhof. Sie lieferten nicht nur Milch und Fleisch, sondern wurden auch als Zugtiere eingesetzt. Die vorher relativ kleinwüchsigen Rinder sind im Laufe der Zeit durch eine große römische Zuchtrasse ersetzt worden. Nach dem Rind hatte das Schwein als Fleischlieferant einen großen Wert. Außerdem hatten die genügsamen Ziegen und Schafe eine wichtige Rolle gespielt. Knochenfunde zeigen, daß auf den niederrheinischen Höfen als Geflügel Hühner, Gänse und Enten gehalten wurden.

Entsprechend der schon recht dichten Besiedlung des rheinischen Tief-landes ist es verständlich, daß die Jagd in den kleiner gewordenen Wäldern keine große Rolle bei der Fleischversorgung spielen konnte. Nur wenige Knochenreste von Wildschwein, Hirsch und Reh sind bei den Ausgrabungen von Dormagen und Xanten gefunden worden. Ebenfalls nur geringe Spuren von Fischen und Schalentieren wie Schnecken und Muscheln zeugen davon, daß die Menschen auch andere Möglichkeiten zur Erweiterung des Fleischangebotes nutzten.

b) Pflanzliche Nahrungsmittel

Die Grundlage für die Ernährung bildeten zweifellos die pflanzlichen Erzeugnisse des Ackerbaus. Leider sind Pflanzenreste im Boden sehr viel vergänglicher als Knochen. Daher sind sie nur selten, und zwar fast ausschließlich im Bereich des Grundwassers unverkohlt erhalten geblieben. Glücklicherweise behalten aber Samen und Früchte bei der Verkohlung durch starke Hitze ihre erkennbare Form und bleiben in diesem Zustand, im Boden eingeschlossen, fast unbegrenzt erhalten. Ihre quantitative Erfassung bei Siedlungsgrabungen vermittelt eine verläßliche Vorstellung von den Ernährungsverhältnissen zur Ablagerungszeit. Die folgenden Beispiele können die Möglichkeit der Auswertung solcher Funde erläutern.

Als im Februar des Jahres 70 n. Chr. das römische Legionslager Novaesium durch Brand zerstört wurde, geriet alles, was sich zur Zeit der Katastrophe in den Gebäuden befand, unter die einstürzenden Wände und Ziegeldächer. Noch im selben Jahr sind die Trümmer eingeebnet und mit Erdreich bedeckt worden, auf dem man das Lager neu errichtete. Bei den Ausgrabungen südlich von Neuss fanden die Archäologen diesen Brandhorizont in etwa 80 cm Tiefe an vielen Stellen. In manchen Truppenunterkünften lagen in ihm Spuren von Gerstenvorräten, woraus man schließen kann, daß vor dem Brand Gerste als Truppenverpflegung ausgeteilt worden war.

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Bei der Ausgrabung auf dem Gelände der heutigen Pädagogischen Hochschule fand man Fundamentspuren eines großen Kornspeichers nahe dem Nordtor desselben Lagers. Die bei der Zerstörung entstandene Brandschicht dieses Gebäudes enthielt überall verkohltes Getreide. In dem Speicher war in jenem Winter Saatweizen eingelagert worden. Nach eingehender Untersuchung konnten Angaben über den Zustand und den Reinheitsgrad dieses Vorrates und durch Berücksichtigung der enthaltenen Unkrautsamen sogar Vermutungen über seine Herkunft gemacht werden.

Unter den Trümmern des Lagerlazaretts (Valetudinarium) befanden sich in einem Raum verkohlte Spuren von acht verschiedenen Heilkräutern. Es war offenbar an dieser Stelle die Apotheke des Lazaretts gefunden worden.

Getreide-Nachweise aus Neuss: Einkorn, Emmer, Dinkel, Zwergweizen, Saatweizen, Gerste, Roggen, Hafer, Rispenhirse, Kolbenhirse.

An 98 Stellen innerhalb des Neusser Lagers und seiner Vorstadt sind Reste von 57 Nutzpflanzenarten gefunden und gezählt worden. Am häufigsten waren Weizen (5 Arten) und Gerste (2 Arten). Diese beiden Getreidegattungen bildeten die Grundlage der Truppenversorgung. Körner von Hafer, Roggen und Hirse wurden seltener gefunden. Insgesamt stand damals mit 11 Getreidearten eine größere Vielfalt an Körnerfrüchten im Vergleich zum heutigen Angebot zur Verfügung. Aus dem Kochbuch des Apicius, "De re coquinaria" (4. Jh. n. Chr.) geht hervor, daß die verschiedenen Kornarten auch für die Zubereitung spezifischer Gerichte verwendet worden sind. Bier hatte man nicht aus Gersten- sondern aus Weizenmalz hergestellt.

Hülsenfrüchte-Nachweise aus Neuss: Linse, Feldbohne, Erbse, Saatwicke, Linsenwicke, Kichererbse.

Unter den Kultur-Leguminosen gab es zwei Arten, die man bei uns heute nicht mehr als Nahrungsmittel kennt: Saatwicke und Linsenwicke. Am häufigsten, und zwar fast an der Hälfte aller Neusser Fundstellen von Pflanzenresten, sind Linsen gefunden worden, zahlenmäßig überwogen allerdings die Bohnenfunde. Alle Samen von Hülsenfrüchten waren deutlich kleiner als diejenigen unserer heutigen Hochzuchtrassen.

Gemüsearten-Nachweise aus Neuss: Möhre, Kohl, Amarant, Runkelrübe (Mangold), Knoblauch, Pastinak, zwei Arten von Feldsalat.

Spuren von Gemüse nachzuweisen, ist schwierig, weil von diesen Pflanzen Teile verzehrt wurden, die unverkohlt im Boden sehr vergänglich sind und die im verkohlten Zustand meist nicht erkannt werden können. Um so bedeutender sind die verhältnismäßig wenigen Samenfunde. Bei einigen von ihnen handelt es sich möglicherweise nur um Abfälle vom Saatgut für den Garten.

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Ölpflanzen-Nachweise aus Neuss: Leindotter, Lein, Olive, Schlafmohn, Hanf.

Die Früchte und Samen dieser fünf Pflanzenarten können zur Ölgewinnung genutzt worden sein. Häufig waren allerdings nur die verkohlten Samen des Leindotters, eines gelb blühenden Kreuzblütlers, der heute nicht mehr angebaut wird, sondern durch den damals noch fehlenden Raps ersetzt wurde. Der Bedarf an Pflanzenöl war verständlicherweise groß, weil Öl nicht nur zu Speisezwecken sondern auch als Brennstoff für Lampen diente.

Gewürzkräuter-Nachweise aus Neuss: Senf, Koriander, Dill, Sellerie, Thymian, Bohnenkraut.

In der römischen Küche spielten Gewürze eine große Rolle. Sie fehlten bei keinem Rezept in dem Kochbuch des Apicius (4. Jh. n. Chr.). So ist es nicht verwunderlich, daß über 3 000 Samen von sechs Gewürzarten in Neuss gefunden wurden.

Nuß- und Obstarten-Nachweise aus Neuss: Haselnuß, Walnuß, Kirsche, Schlehe, Pfirsich, Pflaume, Zwetschge, Birne, Feige, Schwarzer Holunder, Attich, Brombeere, Himbeere, Waldbeere.

Besonders bemerkenswert sind die Nachweise von Obstresten, denn, wie oben schon erwähnt, haben erst die Römer den Obstanbau an den Niederrhein gebracht. Deshalb sind die Spuren von Kirsche, Pfirsich, Zwetschge, Pflaume, Birne und Walnuß die ältesten rheinischen Belege dieser Kulturobstbäume. Die Reste von Haselnüssen und sechs Beerenarten zeigen, daß man alljährlich aus der Umgebung Wildfrüchte bezog oder selbst sammelte. Schon seit Jahrtausenden vorher haben die Menschen im Herbst dieses wohlschmeckende, vitaminreiche Wildobst genutzt.

Nachweise importierter Früchte aus Neuss: Reis, Feige, Olive, Kichererbse, Bockshornklee (Heilkraut).

Diese Gruppe von Lebensmittel muß besonders erwähnt werden, denn es handelt sich um Früchte für den gehobenen Bedarf, die aus südlichen Ländern eingeführt wurden. Für einige Arten sind diese Neusser Funde die einzigen Nachweise nördlich der Alpen. Gute und gesicherte Verkehrswege und ein weltweiter Handel haben diese Erzeugnisse bis in die entlegenen Provinzen des Imperiums vermittelt. Der in Neuss gefundene Reis muß sogar aus Indien stammen, denn der Reisanbau war noch nicht bis ins Mittelmeergebiet vorgedrungen.

Bei der Ausgrabung eines Gebäudes neben der heutigen Kölner Straße in Neuss, der damaligen Limesstraße, fand man die verkohlten Reste nicht nur von Reis, sondern auch von Oliven und Kichererbsen neben anderen vermutlich aber im eigenen Lande gezogenen Früchten und Gewürzen. Es waren die Spuren eines Lebensmittelladens in der Lagervorstadt (Canabae).

Über die Ernährung der Bevölkerung in der römerzeitlichen Zivilsiedlung im Bereich der Neusser Innenstadt ist bisher wenig bekannt. Sie hat sich vermutlich nicht wesentlich von derjenigen der Legionssoldaten unterschieden. Aus den Funden an der Oberstraße (Grabung 1984) geht bisher nur hervor, daß mit Dinkel und Saatgerste dieselben Hauptgetrei-dearten verwendet worden sind.

Wir wissen nicht sicher, wie lange die günstige Lage der rheinischen Landwirtschaft und der Nahrungsmittelversorgung fortbestanden hat, denn es fehlen bisher archäologische Fundplätze mit Pflanzenresten aus den ersten Jahrhunderten nach der Römerzeit. Der älteste nachrömische Siedlungsplatz, der botanisch untersucht wurde, konnte durch eine Ausgrabung bei Kaster/Erft aus der fränkischen Zeit (um 600 n. Chr.) aufgedeckt werden. Die Funde zeigten ein bescheideneres Sorti-ment an Anbaupflanzen. Es ist bezeichnend, daß nach den gefundenen Resten der Roggen inzwischen zum wichtigsten Getreide geworden war.

Quelle: Karl-Heinz Knörzer, Landwirtschaft und Ernährung, in: Novaesium - Neuss zur Römerzeit, Schriftenreihe der Volkshochschule Neuss, Heft 4 (Neuss 1989) 57-69.

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