Novaesium, alias Neuss

Neusser Grabinschriften

Bei den Ausgrabungen auf dem Gebiet der Militäranlagen und in deren Umgebung kamen zahlreiche Grabdenkmäler mit ihren Inschriften zutage, von denen einige hier in Auswahl vorgestellt werden. Da es sich dabei mehrheitlich um Inschriften von Soldaten handelt, ist den Beispielen zunächst eine kurze Einführung über die lateinischen Militärinschriften von Leonhardt Schumacher, Römische Inschriften (Stuttgart 1988) 34-36 vorangestellt. Die unten folgenden Inschriften werden mit der Zeit noch um weitere ergänzt:

Militärwesen

Ungemein zahlreich sind die überlieferten Grabinschriften für Soldaten der römischen Legionen und ihrer Hilfstruppen (auxilia). Mit entsprechenden Weihinschriften, Militärdiplomen, Ziegelstempeln und anderen Zeugnissen des täglichen Lebensbieten sie in ihrer Gesamtheit Aufschluß über die Dislokation der Truppenteile im Imperium Romanum. Von Augustus bis Septimius Severus erhöhte sich die Zahl der Legionen, in denen nur römische Bürger dienten, von 25 auf 33. In den Auxiliareinheiten dienten überwiegend Peregrine, denen mit ihrer ehrenhaften Entlassung (honesta missio) ebenfalls die civitas Romana verliehen wurde. Ihren Dienst versahen sie als Fußsoldaten oder Reiter in den Kohorten (cohortes) als gemischte Verbände bzw. ausschließlich als Reiter in den Alen (alae), d.h. berittenen Verbänden. Ebenso verfügten die Legionen über berittene Abteilungen (Legionsreiterei), die gleich der Auxiliarreiterei in Turmen (turmae) gegliedert war.

In der Regel verzeichnet das Formular der Grabinschrift die Einheit, den Dienstrang, das Alter und die Zahl der Dienstjahre (stipendia), gegebenenfalls auch militärische Auszeichnungen (dona militaria). Seit dem 1. Jahrhundert v.Chr. (Heeresreform des Marius) gliederte sich die Legion in zehn taktische Einheiten (cohortes). In der frühen Kaiserzeit zählte die erste Kohorte fünf (?) Zenturien (centuriae) mit rund 1000 Mann einschließlich des Stabspersonals, die übrigen neun Kohorten (zu der Manipel) je sechs Zenturien zu rund 80 Mann. Hinzu kamen die Legionsreiterei (equites legionis) mit etwa 120 Mann, Zimmerleute und Schmiede (fabri) sowie eine unbestimmte Zahl von sonstigen Arbeitern, so daß die Sollstärke knapp 6000 Mann betrug. Die Zahlen sind allerdings insgesamt und im Deteil umstritten.

In Bezug auf die Rangordnung innerhalb der Legion genügen hier einige grundsätzliche Bemerkungen. Befehlshaber war der Legionslegat (legatus legionis); als Stabsoffiziere standen ihm ein senatorischer (laticlavius) und fünf ritterliche (augusticlavii) Militärtribune zur Seite sowie die Hauptleute (centuriones) der ersten Kohorte (primi ordinis). Zu ihnen zählten der primus pilus, der princeps (prior), der hastatus (prior), der princeps posterior und der hastatus posterior. Im Rang unter ihnen standen die 54 Hauptleute der 2. bis 10. Kohorte (pilus prior/posterior; princeps prior/posterior; hastatus prior/posterior). Zuweilen finden sich entsprechende Angaben mit der Ordnungszahl für die Kohorte in der epigraphischen Überlieferung, gewöhnlich aber bezeichnen sich diese Offiziere unter dem Sammelbegriff centurio. Die Legionsreiterei wurde von einem decurio befehligt.

Zu den sog. Unteroffizieren (principales) zählten zunächst die taktischen Chargen: die optiones als Vetreter der Zenturionen, die für den Parolebefehl zuständigen tesserarii und die Träger der Manipelstandarten (signiferi). Im Rang unter dieser Gruppe standen die immunes, welche von gewissen Dienstaufgaben (Wachdienst, Schanzarbeit usw.) befreit waren: etwa die Waffenwarte (armorum custodes) und Soldaten im Stab des Statthalters bzw. des Legionslegaten (conicularii, frumentarii, speculatores, medici); dazu zählten auch die beneficarii. Über den taktischen Chargen rangierten der Adlerträger der Ligion(aquilifer) und die imaginiferi als Träger der an Stangen befestigten Kaiserbildnisse. Vergleichbare Dienstgrade gab es auch bei den Auxiliareinheiten, die von Praefekten ritterlichen Standes kommandiert wurden - etwa den optio der cohors I Noricorum oder den imaginifer ex cohorte VII Raetorum - und bei den stadtrömischen Truppen (cohortes praetoriae, cohortes urbanae, cohortes vigilum). Die Basis der Armee bildeten wie überall die 'gemeinen' Soldaten (milites gregarii), in den Inschriften schlicht als mil(ites) bzw. eq(uites) bezeichnet.

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Ausgewählte Inschriften:

1. Grabstein des Feldzeichenträgers Tiberius Iulius Pancuius

Grabstein des T. Iulius Pancuius
[Voll-Ansicht]
Datierung: 3. Jahrzehnt n. Chr.
Fundort: 1950 im Bereich des Legionslagers
Aufbewahrungsort: Neuss, Clemens-Sels-Museum

TIBER(IUS) IVLIVS
PANCVIVS
MILES COH(HORTIS)
LUSITANORUM
AN(NORVM) LV STIP(ENDIORUM) XXVIII
HIC S(I)T(VS) EST

Tiberius Iulius Pancuius, Soldat der Kohorte der Lusitanier, verstorben im Alter von 55 Jahren und mit 28 Dienstjahren, ist hier bestattet

2. Grabstein der Ubierin Louba
Datierung: 1. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.
Fundort: 1858 südlich der frühen Lager
Aufbewahrungsort: Leiden (Niederlande), Rijksmuseum

LOUBA GASTI
NASI F(ILIA) VBIA H(IC) S(ITA EST)
Q(VINTVS) CORNELIVS Q(VINTI) F(ILIVS)
GAL(ERIA) CONIVGI SVA(E)

Louba, Tochter des Gastinasus, die Ubierin, ist hier bestattet. Quintus Cornelius, der Sohn des Quintus, aus der Tribus Galeria seiner Gattin.

3. Grabstein des Soldaten Marcus Sulpicius
Datierung: kurz vor 43 n. Chr.
Fundort: 1592 bei Grimmlinghausen
Aufbewahrungsort: verschollen, nur in Abschriften erhalten

M(ARCUS) SVLPICIVS
P(VBLII) F(ILIUS) FAB(IA) PAT(AVIO)
MIL(ES) LEG(IONIS) XX
ANN(ORVM) XXXVII STIP(ENDIORVM) XVII
H(IC) S(ITUS) EST

Marcus Sulpicius, Sohn des Publius, von der Tribus Fabia aus Pavia, Soldat der 20. Legion, verstorben im Alter von 37 Jahren und mit 17 Diensjahren, ist hier bestattet

4. Grabstein des Reiters Caius Cornelius Longinus
Datierung: 3. Viertel 1. Jh. n. Chr.
Fundort: 1591 bei Grimmlinghausen
Aufbewahrungsort: Brunnenhaus in Cleve

C(AIVS) CORNELIVS
C(AI) F(ILIVS) FAB(IA) LONGIN
VS HERACL(E)A EQ(VES)
LEG(IONIS) XVI STIP(ENDIORUM) XXV
VIXIT AN(NOS) L
H(IC) S(ITVS) E(ST)

Caius Cornelius Longinus, Sohn des Caius, aus der Tribus Fabia, aus Herakleia, Reiter der 16. Legion, verstorben mit 25 Dienstjahren; erlebte 50 Jahre. Hier ist er bestattet.

5. Grabstein der Iulia Paulla
Datierung: 2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.
Fundort: Neuss
Aufbewahrungsort: verschollen, nur in Abschriften erhalten

IULIA PAVLLA
H(IC) S(ITA) E(ST)
(H)ER(ES) PRO PIET(ATE)
VALE IULIA

Iulia Paulla ist hier bestattet. Der Erbe (hat das Grabmal errichtet) aus Pietät. Lebe wohl Iulia!

5. Grabstein des Feldzeichenträgers Oclatius

Grabstein des Oclatius
[Voll-Ansicht]
Datierung: Wende vom 1. zum 2. Jh. n. Chr.
Fundort: 1922 an der Kölner Straße
Aufbewahrungsort: Clemens-Sels-Museum

OCLATIO CARVI F(ILIO)
SIGNIF(ERO) ALAE AFROR(UM)
TUNGRO FRATER H(ERES) F(ACIENDUM) C(URAVIT)

Oclatius, dem Sohn des Carvus, Feldzeichenträger der ala Afrorum, aus dem Stamm der Tungrer. Der Bruder und Erbe hat (das Grabmal) anfertigen lassen.



Quelle: H. Gilliam (Hrsg.), Römer in Neuss - 2000 Jahre Römer am Rhein (Neuss 1983) 52 f.

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