Zensus [lat., »Begutachtung«, »Schätzung«]. Der Bürger-Zensus, eine zweifellos in die frühe Zeit zurückreichende Einrichtung des römischen Staates, wurde seit Einführung des Zensorenamtes 443 v. Chr. zunächst in unregelmäßigen Abständen, seit dem Ende des 3. Jh. v. Chr. in der Regel alle 5 Jahre von den Zensoren abgehalten und erstreckte sich auf alle Bürger beiderlei Geschlechts. Er diente der Revision des beim vorhergehenden Zensus aufgestellten Bürgerverzeichnisses und bot die Grundlage für die direkte Besteuerung und die Aushebung zum Militärdienst. Die erforderlichen Angaben (vollständiger Name, bisherige Tribuszugehörigkeit, Herkunftsort, Name des Vaters oder Freilassers, Alter, steuerpflichtiges Vermögen) mußten alle rechtlich selbständigen Erwachsenen persönlich und unter Eid machen; für die übrigen Personen berichtete der Pater familias bzw. der Vormund. Die Zensoren hatten die Bürger den verschiedenen ökonomischen und politischen Einheiten zuzuweisen, in die die Gemeinschaft gegliedert war, darunter einer der Tribus, die seit der Mitte des 5. Jh. v. Chr. zu den wichtigsten Einheiten wurden, innerhalb deren die politischen Rechte in den Volksversammlungen wahrgenommen werden konnten. Die Zensoren besaßen u.a. das Recht, einen Bürger ganz aus dem Tribusverband auszuschließen, einem Ritter die Eignung für den Ritterdienst abzusprechen und einen Senator aus dem Senat auszustoßen. Dabei ließen sie sich nicht nur von rein politischen und administrativen Erwägungen leiten, sondern berücksichtigten auch das Privatleben des einzelnen. Die Schmälerung der bürgerlichen Ehrenrechte deuteten sie im Bürgerverzeichnis unter Angabe der Gründe durch ein Zeichen (lat. nota) an. Nach Abschluß des Zensus erfolgte das Lustrum: erst dadurch wurden die im Rahmen des Zensus getroffenen Maßnahmen rechtswirksam.
Wahrscheinlich seitdem im Gefolge des Bundesgenossenkrieges alle freien Bewohner Italiens das römische Bürgerrecht erhalten hatten und es nicht mehr möglich war, alle Bürger in Rom zum Zensus zusammenzurufen, wurde in den von römischen Bürgern gebildeten Stadtgemeinden der Halbinsel gleichzeitig mit dem Bürger-Zensus in Rom von den obersten Gemeindebeamten, in einigen Fällen auch von eigenen Zensoren, ein örtlicher Zensus abgehalten, dessen Ergebnisse in die Hauptstadt gemeldet werden mußten. Ob in bezug auf die außerital. Bürgergemeinden eine entsprechende Regelung bestand, ist unbekannt. Der Bürger-Zensus entstammt offensichtlich einer Periode noch unentwickelter Wirtschaft, in der das Vermögen als im wesentlichen in Grundbesitz bestehend normalerweise über Jahre stabil blieb; nur so war es möglich, eine längere Frist für die Revision der Vermögens- und Steuereinstufung der Bürger anzusetzen.
In der späten Republik wurde der Bürger-Zensus in Rom, bedingt durch die Wirren der Zeit, sehr unregelmäßig abgehalten. Augustus belebte ihn neu; doch wurde die alte Periodisierung nicht wieder eingeführt, und im Jahre 74 n. Chr. vollzogen Kaiser Vespasian und sein Sohn Titus zum letzten Male das Lustrum. Der Bürger-Zensus war überflüssig geworden, da die in Italien ansässigen Bürger schon seit 167 v. Chr. keine direkten Steuern mehr zahlten, die alte militärische Aushebung nach Vermögensklassen mit der Einführung des Söldnerheeres durch Marius aufgehört hatte, Grundlage der Militärmacht zu sein, und die Volksversammlungen in Verfall geraten waren. In den Stadtgemeinden Italiens bestand der Bürger-Zensus jedoch noch in der Kaiserzeit mit der Fünfjahresfrist fort - wohl zu lokalen Zwecken, weshalb die Zensusjahre nicht übereinstimmten.
Vereinzelt schon in republikanischer Zeit, in größerem Umfange seit Augustus wurde in den Provinzen ein Provinzial-Zensus durchgeführt. Hauptsächlicher Anlaß war die Einrichtung einer neuen Provinz (z.B. der Zensus in Syrien und Palästina bei Einrichtung der Provinz Judäa 6 n. Chr.; Volkszählung). Eine regelmäßige Zensusperiode gab es nicht (außer in Ägypten, wo Zyklen von 14 Jahren eingehalten wurden); ein neuer Zensus erfolgte nach Bedarf und in den einzelnen Provinzen unabhängig voneinander. Ein allgemeiner Reichs-Zensus scheint nie vorgenommen worden zu sein. Zweck des Provinzial-Zensus war es, die Wehrfähigen für die militärische Aushebung zu erfassen und die Angaben über den Besitz an Boden und Sklaven und über sonstiges Eigentum zu sammeln als Grundlage für die Erhebung der Grund- und der Kopfsteuer. Verantwortlich für die Durchführung war normalerweise der Statthalter der jeweiligen Provinz.
In der republikanischen Zeit war die Feststellung einer bestimmten Mindestgrenze des Vermögens im Rahmen des Bürger-Zensus Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Ritterstand; diese Mindestgrenze betrug schon gegen Mitte des 1. Jh. v. Chr. 400.000 Sesterze und blieb in der Folgezeit unverändert. Für die Zugehörigkeit zum Senatorenstand führte erst Augustus eine Besitzqualifikation ein; die erforderliche Mindestsumme ist in den Quellen, als Zensus bezeichnet, nicht einhellig überliefert, betrug jedoch etwa das Doppelte bis Dreifache derjenigen der Ritter. Auch für die Zugehörigkeit zum Gemeinderat, die Stellung eines Dekurionen, in den römischen Stadtgemeinden war ein entsprechender Standes-Zensus Voraussetzung. Die Mindestgrenze des Vermögens, hier natürlich niedriger als bei den römischen Rittern liegend, dürfte je nach der wirtschaftlichen Lage der Gemeinde unterschiedlich gewesen sein.
Quelle: Lexikon der Antike. Digitale Bibliothek Bd. 18 - (c) Directmedia 2000 |