Novaesium, alias Neuss

NGZ-Online, 22. Juli 2005

Auf Spurensuche

Städtischer Archäologe leitet derzeit die Ausgrabungen

Simon Hopf

Hinter dem alten RheinLand-Gebäude am Marienkirchplatz vermutet der städtische Archäologe Michael Kaiser Gräber aus römischer Zeit. Die Grabungen sollen bis März 2006 dauern.

Die sorgsam freigelegten Fundamentreste beflügeln die Phantasie: Sind das etwa die Reste eines römischen Gebäudes? Michael Kaiser wiegelt ab: "Wilhelminisch." Ende des 19. Jahrhunderts also, und damit ganz unspektakulär. Kaiser hofft indes auf mehr. Der städtische Archäologe leitet derzeit die Ausgrabungen hinter der ehemaligen Hauptverwaltung der RheinLand-Versicherung am Marienkirchplatz. Er ist auf Spurensuche und folgt dabei einer ganz bestimmten Fährte. "Es gibt Nachrichten aus dem Jahr 1880, als hier eine ganze Reihe römischer Gräber entdeckt wurde", sagt er. Damals begann man, das Gebiet zwischen Altstadt und Bahnhof nach und nach zu bebauen - und stieß wie überall in und um Neuss schnell auf antike Hinterlassenschaften.

Dort, wo heute urbanes Leben mehr oder minder heftig pulsiert, erstreckte sich einst eine Stadt der Toten: das Gräberfeld außerhalb der römischen Zivilsiedlung (vicus), die Anfang des 1. Jahrhunderts nach Christus rund zweieinhalb Kilometer nördlich des Legionslagers entstanden war. Ihre Verstorbenen bestatteten die frühen Neusser entlang der Ausfallstraßen ihrer Siedlung. Damit folgten sie uralter Tradition, die ursprünglich einmal nur für die Stadt Rom selbst gegolten hatte, sich aber später überall im Imperium einbürgerte. Die Hauptachse der Neusser Innenstadt - Oberstraße, Büchel, Nieder- und Krefelderstraße - folgt dem Verlauf einer römischen Fernstraße. Kaiser kann sich also berechtigte Hoffnungen machen, im Umfeld dieser Trasse etwas zu finden. Anfang der Woche wurde mit den vom Neusser Bauverein finanzierten Untersuchungen begonnen. Sie sind bis März 2006 terminiert und stehen im Zusammenhang mit der umfassenden Neugestaltung des Viertels.

Das Gräberfeld war nach Kaisers Auskunft "mindestens bis zum 4. Jahrhundert" in Gebrauch. Ob dort wohl noch große Schätze im Boden schlummern? Vielleicht, doch gerade im 19. Jahrhundert war das, was heute als Raubgrabung geächtet ist, auch in Neuss nichts Ungewöhnliches, erinnert Kaiser. "Das meiste wanderte in den Kunsthandel." Manche Stücke bewahre das Düsseldorfer Stadtmuseum, vieles ist verschollen. Die Brandgräber - Kaiser: "In diesem Bereich gab es wohl noch keine Erdbestattungen" - enthielten gerade im 1. nachchristlichen Jahrhundert aufwendige Beigaben: Gefäße aus Terra sigillata, Gläser und Spiegel. In den beiden nachfolgenden Jahrhunderten war die Grabausstattung standardisiert.

Ein paar Krüge, Teller und Becher mussten reichen. Und dies alles, da man glaubte, die Toten hätten im Reich der Schatten ähnliche Bedürfnisse - Essen und Trinken - wie auf Erden. Auch Funde aus der Zeit nach der fränkischen Landnahme - Köln wurde 457 durch die Franken besetzt - will der Archäologe nicht ausschließen. Constantin Koenen, der als Erforscher des römischen Legionslagers Novaesium gefeiert wird, soll um 1875 im Bereich der späteren Marienkirche auf fränkische Gräber gestoßen sein. Aus dem späten Mittelalter könnte ebenfalls noch etwas im Boden schlummern. Kaiser spricht die Belagerung von Neuss 1474/75 an. Rund um die Stadt hatten damals die Truppen Karls des Kühnen Stellung bezogen. Doch erst einmal sind es, wie gesagt, wilhelminische Fundamente, auf die Michael Kaiser und sein Team gestoßen sind. "Wir graben uns heran."

[ Fenster schließen ]