Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 22. März 2009
Der tödliche Pfeil des „Scorpio“
Peter Böttner
Die römischen Legionen beherrschten einst die halbe Welt. Ihre Organisation, Disziplin und Effektivität war gefürchtet, ihre Ausstattung Furcht einflößend.
Römische Waffenkunst sicherte den Truppen den entscheidenden Vorteil, dabei stellten die Waffenschmiede die schweren Geschütze häufig erst am Einsatzort her. Und so kann man sich durchaus vorstellen, dass auch das hölzerne Torsionsgeschoss „Scorpio“ einstmals in der niederrheinischen Tiefebene angefertigt wurde, um den germanischen Horden das Fürchten zu lehren.
Zweitausend Jahre später hat ein „Stoßtrupp“ der Legion XV Primigenia die Ballista erneut in Position gebracht. Knarrend spannen die Legionäre auf einer Anhöhe in Wallrath die Bogensehne, die Rosshaar-Seilbünde verwinden sich zu einer Zugkraft von rund 1500 Kilogramm. Dann schnellt der Metallschlitten nach vorne, der Eisen bewehrte Holzpfeil zischt davon und beschreibt eine flache, gleichmäßige Kurve. Doch das todbringende Geschoss verpasst den germanischen Schild in rund 100 Meter Entfernung, der Pfeil bohrt sich in tief in die weiche Erde.
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Auf einem Feld bei Wallrath brachten Mitglieder der Legion XV Primigenia am Samstag ihr Torsionsgeschoss in Stellung. Die Römerkohorte Niederrhein hat das antike Geschütz nach Original-Plänen nachgebaut. (NGZ-Fotos: Michael Reuter) |
Centurio Caius Cassius Geminus alias Alexander Schneider ist mit dem Ergebnis dennoch mehr als zufrieden. Schließlich war wohl auch bei ihm eine gewisse Skepsis vorhanden, experimentelle Archäologie muss mit Rückschlägen rechnen. Schließlich stammen die Baupläne für die antiken Waffen aus einer Zeit, als detailverliebte Computerzeichnungen undenkbar, Erfahrung alles und die verbauten Materialen zum Alltag gehörten. Neunzig Arbeitsstunden hat es Alexander Schneider und sein Team von der Römerkohorte Niederrhein an dem anspruchsvollen Projekt gearbeitet, in Korschenbroich fanden sie bei Schreiner Günther Thoren einen begeisterten Mitstreiter. „Die besondere Herausforderung liegt darin, dass man eigentlich nicht so ganz genau weiß, was am Ende dabei herumkommt“, muss Schneider rückblickend schmunzeln. Zwar sind die Angaben, die Marcus Vitruvius Pollio als Architekt von Caesars Kriegsmaschinerie überliefert hat, mehr als hilfreich. „Aber ob und wie das Gerät schießt, können wir erst heute herausfinden“, so Schneider. Er hat den Eiche/Esche-Rahmen möglichst exakt den Anweisungen des Vitruv nachempfunden, nur bei der Bogensehne (unter Vitruv noch aus Rindensehnen) machten die modernen Legionäre Zugeständnisse und griffen auf eine Kunstsehne zurück.
Ein „Hingucker“ für Xanten
Bei all den Mühen, den Kosten (rund 800 Euro für das Material) und der potentiellen Gefahr (mühelos schlagen die Bolzen durch Metall) stellt sich naturgemäß die Frage nach dem Warum. Doch wer schon einmal in Xanten die Römerfestspiele erlebt hat und eine wunderbare Zeitreise in das römische Weltreich genießen durfte, der findet auch leicht Antworten auf die Frage. „Zwar wird es niemand so zugeben wollen, tatsächlich besteht aber auch zwischen den einzelnen Gruppierungen ein gewisser Konkurrenzkampf. Und mit unserem Katapult haben wir jetzt ein Projekt abgeschlossen, welches etwa in Xanten sicherlich ein Hingucker sein wird“, freut sich Alexander Schneider.
Toberio Iuli, Legionär auf Probezeit, spannt derweil erneut die Sehne. Und wieder schwirrt ein Pfeil durch die Wallrather Luft. „Wann man sich jetzt vorstellt, dass hunderte dieser Pfeile binnen weniger Minuten auf die Feinde niedergingen, der kann die Dominanz der römischen Truppe nachempfinden“, glaubt Alexander Schneider an die Stärke der experimentellen Archäologie made in Jüchen. |