NGZ-Online, 1. November 2008
Nachricht vom Legionär Proculus
Ein römischer Grabstein, im Mittelalter zweckentfremdet, konnte entziffert werden
Sascha Wichmann
Dr. Carl Pause ist sprichwörtlich ein Stein vom Herzen gefallen: "Von den vier aus römischer Zeit stammenden Grabsteinen, die wir im Museum aufbewahren, war nur ein einziger seit mehr als 60 Jahren nicht näher zu identifizieren - diese schmerzliche Lücke konnten wir jetzt schließen", so der Archäologe begeistert. "Wir", das sind Dr. Marcus Reuter, wissenschaftlicher Referent im kürzlich eröffneten Römer-Museum in Xanten, und Dr. Carl Pause, Archäologe im Clemens-Sels-Museum.
Gemeinsam ist es den Experten gelungen, nicht nur die im Laufe der Jahrhunderte stark verwitterte Inschrift des einstmals prachtvollen Grabsteins zu entschlüsseln, sondern auch die damit verbundene Lebensgeschichte eines römischen Soldaten zumindest in Teilen zu rekonstruieren.
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Gab den Archäologen lange Rätsel auf: der Grabstein des Legionärs Proculus |
Wurde lange für die Vorderseite des Steins gehalten: die Christusdarstellung |
Für Marcus Reuter ist es vor allem dieser Aspekt, der ihn an der Beschäftigung mit römischen Inschriften fasziniert: "Bei dem etwa um 75/80 nach Christus verstorbenen Soldaten handelt es sich um den Legionär Proculus, der aus dem heißen Spanien an den nasskalten Niederrhein verlegt wurde", so Reuter, der dem noch etwa 65 Zentimeter großen Rumpfstück aus Muschelkalk mit einfachsten Hilfsmitteln zu Leibe rückte. "Mit einer Stablampe, etwas Folie und einem Stift konnte ich bei mehrmaligen Besuchen fast 95 Prozent der erhaltenen Inschrift entschlüsseln."
Doch nicht nur über die Heimat von Proculus, sondern auch über seine Einheit, die Sechste Legion "Victrix"/ die "Siegreiche", wissen die Fachmänner einiges zu berichten: "Diese Legion ist uns schriftlich überliefert, kämpfte im Bataveraufstand um 69 nach Christus bei Xanten gegen aufständische Germanen. In Neuss war sie dann wohl etwa 30 Jahre lang stationiert", sagt Carl Pause, für den der Glücksfund auch insofern einzigartig ist, als dass bisher keiner der erhaltenen Grabsteine tatsächlich auf die Anwesenheit der "legio victrix" in Neuss hindeutete.
Glücklich waren auch die eigentlichen Fundumstände: "Als 1944 die Traditionsgaststätte Mickenschreiber am Büchel dem Bombenkrieg zum Opfer fiel, gelangte das Steinfragment ins Museum. Ursprünglich wegen der Christusabbildung auf der vermeintlichen Vorderseite, die wohl im Mittelalter auf den Stein aufgebracht worden war, nachdem der Grabstein durch Steinraub von seinem angestammten Platz entfernt worden war.
"Bis zur Zerstörung des Gebäudes hat der Stein als Hauszeichen gedient, von denen es in Neuss eine ganze Menge gab, ehe sich später die uns bekannten Hausnummern durchsetzten", erklärt Pause die Zweckentfremdung des Grabsteins. Er glaubt sicher, dass "von dessen Zeitgenossen noch so mancher in heutiger Neusser Bausubstanz verborgen sein dürfte." |