Westdeutsche Zeitung, 12. Februar 2008
700 Jahre Kanalbau dicht an dicht
Ulla Dahmen und Simone Schwan
Hauptstrassenzug: Auf der Großbaustelle wird ein Abflussrohr aus dem Mittelalter gefunden.
Mit vielem hatten die Planer und Organisatoren gerechnet, auf vieles war man vorbereitet. Am Dienstag aber war dann so ein Tag auf der Großbaustelle Hauptstraßenzug, an dem unerwartet drei ganz unterschiedliche Baustellen-Ereignisse zusammentrafen.
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Relativ neu und ganz alt: Karin Striewe aus dem Team von Sabine Sauer am 100 und 700 Jahre alten Kanal. |
Der Fund: Abflussrohr aus dem Mittelalter
Schon vor einer Woche hatte der archäologische Fund von Mauerresten des Hamtors aus dem 13. Jahrhundert und vor allem ein Graben aus dem 12. Jahrhundert, den Experten als Indiz für ein Hamtor - Vorläufertor werten, für Aufsehen gesorgt.
Am Dienstag nun ein neuer, noch bedeutenderer Fund: Unter der Krefelder Straße legten die Bauarbeiter einen Abwasserkanal aus reinem Tuffstein auf vier Metern Länge frei – keiner, der im Zuge der aktuellen Arbeiten erneuert werden soll, sondern ein Relikt aus dem 13.Jahrhundert.
Und das ist schlichtweg eine Sensation. Denn, so die Stadtarchäologin Sabine Sauer: Bisher war in keiner Stadt am Niederrhein ein Abwassersystem aus dem Mittelalter bekannt. Dieser Luxus in einem Profanbau war bisher nur in Köln nachgewiesen. Der Neusser Kanal zog sich an St. Quirin vorbei zum Rhein. Sabine Sauer vermutet, dass er von Haus Falkenstein (heute Standort der Büchel-Arkaden) wegführte: Das über lange Zeit größte und repräsentativste Steinhaus in Neuss war offensichtlich mit diesem Luxusartikel ausgerüstet.
Die Archäologin freute sich nicht zuletzt über den Nachweis, dass „das Kanalbauerhandwerk in Neuss 700 Jahre alt ist“.
Das Verfahren: „Inline“ durch das alte Rohr
An der Krefelder Straße wurde am Dienstag der erste Schritt der Kanalverlegung gemacht. Im „Inline“-Verfahren wurde das neue, 50 Zentimeter breite Polyethylen-Rohr mithilfe einer Spule in das alte Rohr gezogen. Der 100 Meter lange Schlauch ist wider Erwarten nicht rund, sondern mit einer Falte versehen. Heute wird er mit fast 130 Grad heißem Dampf bearbeitet, wobei der sich ausdehnt und an das alte Rohr anschmiegt. „So sparen wir sechs Wochen Zeit und zwei Drittel der üblichen Kosten“, erklärt Baustellenleiter Michael Welter.
Das Vergnügen: Kino an der Baustelle
Außerdem feierte am Dienstag das „Kino“ auf der Baustelle Premiere: In Höhe „Schwatte Pääd“ flimmern ab etwa 17 Uhr Kurzfilme über eine Leinwand.
Die Panne: Bagger erwischt Stromkabel
Um 14.42 gingen die Lichter aus: Ein Bagger hatte bei den Arbeiten ein Stromkabel erwischt. Zerfetzt wurden ein Mittelspannungskabel und ein Steuerkabel; „ein dicker Schaden“, wie es bei RWE hieß. Um 15.30Uhr war die Störung behoben, die Reparatur wird noch länger dauern. |