NGZ-Online, 6. April 2007
Von den Göttern zu Gott
Simon Hopf
Dessideratus wurde nur neun Jahre und sechs Monate alt. Sein Tod muss die Eltern hart getroffen haben. Auf dem Stein, den sie über dem Grab ihres Kindes errichteten, sprechen sie vom Schicksal, das "schnellen Schrittes" jäh über sie hereingebrochen sei. Aber sie verzweifelten nicht: "Ewige Hoffnung jedoch spendet Trost in der Trauer. Ewige Jugend verheißt uns ja das Paradies." Mit dieser Gewissheit betteten sie den Jungen vor mehr als 1500 Jahren zur letzten Ruhe.
Der aus dem 5. Jahrhundert stammende Grabstein, der in Kobern an der unteren Mosel gefunden wurde und zur Verzierung unter anderem ein Christogramm trägt, ist ein Beispiel für die Spuren früher Christen im Rheinland, auf deren Fährte die Besucher der aktuellen Ausstellung „Von den Göttern zu Gott“ im Rheinischen Landesmuseum Bonn wandeln können.
In das gewisse Dunkel der so genannten Völkerwanderungszeit, während der die römische Herrschaft auch in Gallien und im westlichen Germanien schließlich zusammenbrach, wirft die Inschrift für Dessideratus noch ein weiteres Schlaglicht: Lateinisch verfasst, steht sie für Kontinuität - und will so gar nicht mit der klischeehaften Vorstellung übereinstimmen, nach der die wilden, halbnackten Germanenhorden bei ihren brutalen Einfällen in das Imperium Romanum zerstörungswütig alles Römische hinweggefegt haben.
Dr. Winfried Schmitz, Professor an der Universität Bonn, ist einer der Kuratoren der Ausstellung. Er räumt mit vielen Vorurteilen auf: „Fundorte von lateinischen Grabinschriften zeigen an, an welchen Orten im Rheinland Römer auch nach dem Abzug des römischen Militärs und der römischen Verwaltung weiterhin siedelten und Latein sprachen, ja zum Teil römische Bildung tradierten.“
Nachweislich haben sich gerade im Moselraum Romanen bis ins hohe Mittelalter als gesonderte Gruppe erhalten können. Weiter nördlich wiederum kann man eine gewisse Kontinuität anhand der Gräberfelder feststellen, so in Krefeld-Gellep, rund um Köln (dort endete die römische Herrschaft 457) und Jülich. In Gellep, hart an der Grenze zum heutigen Rhein-Kreis Neuss, wo um 420 das dortige Kastell aufgegeben wurde, lassen sich anhand der Gräber romanische Elemente noch bis in das späte 6. Jahrhundert vereinzelt nachweisen.
Schmitz: "Die Romanen vermittelten viele antike Traditionen, insbesondere die christliche Religion, an die Franken, die nun die Herrschaft übernommen hatten. Damit war die Grundlage geschaffen für eine neue germanisch-romanische Mischkultur, die von gegenseitiger Einflussnahme geprägt war."
Wie aber war es um die frühen Christen im Rheinland bestellt? Über die Anfänge jedenfalls schweigen die Quellen. "Die ersten sicheren Zeugnisse stammen vom Anfang des 4. Jahrhunderts", schreibt Schmitz in dem Begleitband zur Bonner Ausstellung.
Für das Jahr 313 ist Maternus als erster Bischof von Köln belegt; zugleich weist dies darauf hin, dass sich damals bereits eine klerikale Struktur herausgebildet hatte. Wie groß die christlichen Gemeinden tatsächlich waren, ist unklar.
Christliche Symbolik hatte im Alltag jedenfalls ihren festen Platz: sei es auf Glasgefäßen, Schmuck oder Gebrauchsgegenständen - als ebenso ausgefallen wie originell gilt eine Öllampe in Fischform, die bei Wesseling gefunden wurde. Der Fisch (griech. Ichthys; auch Abk. für Iesús Christós Theoú Yiós Sotér = Jesus Christus bzw. der Gesalbte, Gottes Sohn, der Retter) steht in diesem Fall für Christus selbst.
Die Frage, ob es in der Spätantike schon Kirchenbauten im Rhein-Moselraum gegeben hat, kann mit Blick auf Trier, wo sich bis heute beeindruckende architektonische Zeugnisse erhalten haben, bejaht werden. Aus Köln ist für das Jahr 355 immerhin ein "conventiculum ritus Christiani", ein christlicher Versammlungsraum bezeugt. Archäologisch eindeutig fassbar werden Kirchen generell aber erst ab dem 6. Jahrhundert. Diese Erkenntnis steht früheren Interpretationen entgegen, wie die Bonner Ausstellungsmacher betonen. "Ehemals christlich gedeutete Architektur ist vom heutigen Standpunkt aus in ihrer Funktion oft nicht mehr so klar zuzuordnen."
Nach wie vor praktizierten demnach nicht wenige die überkommenen Götterkulte, obwohl das Christentum unübersehbar Fuß gefasst hatte; in Köln huldigte man beispielsweise noch mindestens bis Mitte des 4. Jahrhunderts der Göttin Isis. In Bonn wird in diesem Kontext auch ein Kultrelief des populären Gottes Mithras gezeigt, das aus Dormagen stammt.
Außerhalb der Städte hielten sich heidnische Traditionen noch länger. In Meerbusch-Strümp wurde zum Beispiel am Rand einer Siedlung des 5. bis 7. Jahrhunderts ein Opferplatz mit Resten eines Holzpfostenbaus und eines Pferdeopfers ausgegraben, wie Dr. Sebastian Ristow, ebenfalls Kurator der Bonner Ausstellung, in seiner die Thematik der Schau vertiefenden Monografie „Frühes Christentum im Rheinland“ festhält.
Für die Anwesenheit von Christen im spätantiken Novaesium gibt es bislang nur einen Hinweis: 1847 wurde in Neuss eines der "bemerkenswertesten frühchristlichen Fundstücke des Rheinlandes überhaupt" (Ristow) geborgen: das Fragment eines Goldglaskästchens mit christlichen Darstellungen - unter anderem eine Szene mit dem lehrenden Jesus -, das in die Mitte des 4. Jahrhunderts datiert wird. "Bedauerlicherweise ist der Fund verschollen." Entsprechende frühmittelalterliche Funde oder gar Befunde lägen nicht vor.
In Rommerskirchen wiederum wurden von den Archäologen unter der Pfarrkirche St. Peter reich ausgestattete Gräber geborgen. In einem Frauengrab fand sich ein Goldblattkreuz aus dem ersten Drittel des 8. Jahrhunderts. Das dünne Blech war auf einem Schleier oder einer Haube aufgenäht. Es gilt als das nördlichste und zugleich jüngste Beispiel dieser ursprünglich langobardischen Grabsitte. |