Novaesium, alias Neuss

NGZ-Online, 24. Dezember 2005

Krimi aus der Abfallgrube

Clemens-Sels-Museum

Helga Bittner

Geduld und ein ausgeprägter Spürsinn sind für Archäologen unumgänglich: Schließlich verfolgen sie Spuren, die oft genug im Sand verlaufen und geben doch nicht auf, das Leben zumeist längst gestorbener Menschen zu erforschen.

Archäologen lesen gerne Krimis. Sagt Dr. Carl Pause, und der muss es schließlich wissen, denn schließlich ist er selber einer (am Clemens-Sels-Museum). Aber er weiß das auch zu begründen: "Archäologie hat etwas von Kriminalistik." Und grenzt noch genauer ein: von Forensik - wenngleich Archäologen es natürlich weniger mit Leichen zu tun haben als der Pathologe im Krimi, aber beide eint die Art der Arbeit: Sie suchen und finden Spuren und ziehen daraus ihre Schlüsse.

Pauses Recherche-Ergebnisse führen zwar nicht gerade zu einer Festnahme, aber immerhin zu einer Feststellung - wie er jüngst wieder beweisen kann, nachdem er jahrelang in seinem Bestand zwei Beweisstücke hortete, deren Fundort ihm Rätsel aufgab. Beim Bau der Münsterschule vor 35 Jahren haben zwei Schüler, Theo Wennmacher und Dieter Hupka, Gussformen für Buchstaben mit monogrammartigem Charakter und Sterne gefunden - "mitten im Stiftsbereich", sagt Pause, wo sich doch eigentlich nur adlige Damen aufhielten und gewiss keine Handwerkerwerkstätten befanden.

Römischer Grabstein
Der im Besitz des Museums befindliche Grabstein des Pancuius wurde erst vor kurzem an der Universität of Reading einer chemischen Analyse unterzogen. Demnach stammt der Stein aus der Gegend des lothringischen Norroy-les-Pont-a-Mousson an der Mosel.

 
Wie also kommen die Gussformen dorthin? Ohnehin fallen sie in der deutschen Archäologie in eine seltene Fundkategorie: Rund 20 Exemplare kennt man bundesweit, sagt Pause, selbst in der Reichshauptstadt Nürnberg habe man nur zwei Gussformen ausgegraben. Dass die Neusser Exemplare aus dem 15. Jahrhundert stammen, ließ sich aus den Keramikresten, mit denen sie zusammen in einer Abfallgrube lagen, schließen, aber wofür dienten sie?

Zudem sind aus einem Stein, den es dieser Region nicht gibt - was in Düsseldorf mit Hilfe einer Röntgen-Fluoreszenz-Analyse herausgefunden wurde. Aber als Neusser Archäologe wusste Pause natürlich, dass die Grabsteine aus römischer Zeit aus dem gleichen Material bestehen, allerdings kam das von weit her, aus dem Moselgebiet. Also müssten Handwerker von dort nach Neuss gewandert sein? Nein, die Lösung ist viel profaner: Das (noch nicht entdeckte) Römerlager in Gnadental wurde im 15. Jahrhundert von den Neussern als Steinbruch benutzt - man nahm sich, was man brauchte. Damit war das "Woher" geklärt, aber nicht das "Für wen" und "Für was".

Die Düsseldorfer Untersuchung hatte zugleich auch ergeben, dass in den Vertiefungen der eingeritzten Sterne und Buchstaben keinerlei Gold- und Silberspuren zu finden waren, ohnehin hätte sich der Stein für das Material auch nicht geeignet. Also konnten die Gussformen schon mal nicht zur Herstellung von Schmuckstücken gedient haben (wobei die Buchstaben-Motive da auch einen etwas merkwürdigen Geschmack offenbart hätten ...).

Ohne Nachdenken läuft auch bei Archäologen nichts, und Pause stiegen dabei sogleich Bilder in den Kopf: von den Sternenkränzen über dem Haupt einer bekrönten Madonna zum Beispiel. Könnten die Gussformen nicht auch für Metallapplikationen auf Paramenten gedacht gewesen sein? "Leider hat Dr. Hildegard Welfens im Pfarrarchiv von St. Quirin keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden", sagt Pause bedauernd und musste auch diese Spur ad acta legen. Doch der reiche Gemäldeschatz des Clemens-Sels-Museum half ihm dann endgültig auf die Sprünge:. "Um 1500 trug die vornehme Dame schwarze oder rote Gürtelbänder, die mit Metallbeschlägen aus Gold, Silber oder eben nur Bronze verziert waren."

In einem Nürnberger Nachlass von 1529 fand er die Beschreibung eines "guldens Portlein mit Puchstaben und vergulten Roslein, Senkel und Gürtl", in einem weiteren "I swarz sameten Porten mit sylberen Stern". Das Ei des Columbus war somit gefunden. Im Stift lebten schließlich reichlich adlige Damen, und auch wenn die Ausrichtung ihres Lebens religiös war: "Sie kleideten sich, wie es ihrem Stand gebührte." Und wie kamen die Gussformen nun auf das Stiftsgelände? Ganz einfach: Die Damen ließen die Handwerker zu sich kommen und die Sterne und Monogramme an Ort und Stelle arbeiten. Welche Familiennamen sich hinter den Monogrammen verbergen, ist der Plot für den nächsten Archäologie-Krimi des Carl Pause.

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