NGZ-Online, 5. Mai 2005
Viel Arbeit für das geistige Auge
Dreiklang der Exponate
Helga Bittner
In der neuen Ausstellung des Clemens-Sels-Museum, "Spurensuche im Barock - Archäologie des 17. Jahrhunderts am Niederrhein" überzeugt vor allem der Dreiklang der Exponate aus Kunstsgeschichte, Stadthistorie und Ausgrabungen.
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Was auf den ersten Blick wie Bauschutt aussieht, gibt dem Archäologen reichlich Aufschluss : Dr. Carl Pause und die Kunsthistorikerin Jutta Tremmel-Endres vor den Funden aus dem Keller eines Hauses, das ausgeplündert wurde.
NGZ-Foto: A. Woitschützke |
Auf den ersten Blick wirkt alles ein wenig konfus. Hier liegen haufenweise Scherben in einer Vitrine; dort hängen alte Stiche, und als drittes liegen aufgeschlagene alte Bücher herum. "Spurensuche im Barock" heißt die neue Ausstellung im Clemens-Sels-Museum, und im Titel steckt nicht nur der konzeptionelle Ansatz des Kurators und Archäologen des Hauses, Dr. Carl Pause, sondern auch eine Aufforderung an den Besucher: nämlich den ausgelegten Spuren zu folgen, sie im Kopf zu verknüpfen und auf diese Weise sich ein Bild vom Leben im 17. Jahrhundert in Neuss und Umgebung zu konstruieren.
Mag es mit Blick auf den Charakter einer Schau auch zunächst widersinnig erscheinen: Aber die kultur- und stadthistorische Ausstellung gewinnt weniger durch das Anschauen der Exponate als vielmehr durch die gedankliche Aufbereitung des Gesehenen. Was nicht heißt, dass einzelne Exponate nicht auch zu fesseln vermögen; allein die alten Graphiken sind ein Seh-Genuss und vermitteln eine Ahnung davon, welche Schätze im Depot des Museums schlummern müssen, weil ohne den Anbau des Museums wohl immer der Platz fehlen wird, sie ständig präsentieren zu können.
Dass die Schau von einem Archäologen konzipiert wurde, gar im Untertitel "Archäologie des 17. Jahrhunderts am Niederrhein" ausdrücklich auf das Fachgebiet hinweist, spiegelt sich zwar in der zahlenmäßigen Dominanz entsprechender Exponate wieder. Aber Pause, dessen Begeisterung und Faszination für seine eigene Arbeit sich in jedem seiner Worte zeigt, hat das Ausstellungsziel schließlich deutlich formuliert: "von den Funden zur konstruierten Wirklichkeit".
Von drei Seiten kommt er dem näher: Grabungsfunde, Schrift- und Bildquellen aus dem Stadtarchiv und dem eigenen Bestand ergänzen sich, ohne einander zu überlagern, lassen sich zu einer "Leben- und Gedankenwelt der Menschen" (Pause) verbinden, die in der archäologischen Forschung der von dieser bislang eher ignorierten Neuzeit wegweisende Bedeutung hat. Was auch daran liegen mag, dass Pause mit Jutta Tremmel-Endres eine kompetente Kunsthistorikerin an seiner Seite hatte.
Deren Begeisterung ("ich hätte nie gedacht, dass sich auch meine Blick so verändern würde") dürfte auch der Betrachter teilen können, wenn ihm schon im ersten Raum angesichts der in einer Vitrine präsentierten Reste von Tabakpfeifen, Kätschenbeschlägen oder Tonscherben, dem ausgestellten Mobiliar eines Bürgerhauses und den Stichen und Radierungen von Bürgerfrauen, Melkerinnen oder tanzenden Bauern auf dem Dorfplatz Bilder eines lebhaften Alltags im 17. Jahrhunderts am geistigen Auge vorbeiziehen. Vor allem jenseits der sonst in Berichten über diese Zeit vorherrschenden Kriegswirren (30-jähriger Krieg, Niederländischer Krieg), die in der Schau nur in der Einführung größere Erwähnung finden.
Dass das Leben des Landadels und der Bürger eher komfortabel war, sie es sich leisten konnten, Porträts von sich anfertigen zu lassen (eines von Rembrandt), aus Gläsern venezianischer Art zu trinken oder im Gasthof Graureiher zu verspeisen (was Grabungsfunde belegen); dass Bauern, Tagelöhner und vor allem deren Kinder dagegen oft nicht einmal über das Notwendigste verfügten, macht die Ausstellung gleichermaßen nachvollziebar, ohne sich in zu viele Einzelheiten zu verzetteln.
Auch andere Widrigkeiten des damaligen Lebens sind im bewährten Dreiklang der Exponate dokumentiert. Die Angst der Bürger und Adligen vor Überfällen und Plünderungen zum Beispiel manifestiert sich im Lackabzug eines Erdprofils, in dem sich ein üblicher Fluchttunnel einer Hofanlage abzeichnet oder im Gerippe eines Pferdes, das bei einer Brandschatzung verendete. Musketenkugeln aus dem Kellergrund eines Hauses zeugen von der gewalttätigen Übernahme des Anwesens.
Pest und andere Krankheiten, die Angst vor Zauberei und Hexen und Rezepte, diese abzuwehren oder zu entlarven (bis hin zum allerdings wenig gelungenen Zitat eines Scheiterhaufens) finden sich genauso in der Schau wie die Zeugen großer Frömmigkeit und das Wirken der Jesuiten: das von Kanonikus Kock 1633 Katharinenlied zum Beispiel (die NGZ berichtete), das auch vom Band ertönt, eine goldene Monstranz oder das Modell für ein Gebetbrot.
Info: Am Obertor, Sonntag, 9. Mai, 11.30 Uhr (Eröffnung), bis 24. Juli, Katalog 14,80 Euro.
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