Presseamt der Stadt Neuss, 27. August 2004
Römische Raststation gefunden?
Archäologische Untersuchungen auf dem ehemaligen Omnibusbahnhof
Im zweiten Abschnitt der Grabungen auf dem Omnibusbahnhof sind mittlerweile großflächig die Horizonte einer römischen Zivilsiedlung (vicus) freigelegt worden.
Entsprechend der antiken Geländemorphologie fallen die römischen Siedlungsschichten vom Nordrand der Grabung in südliche Richtung auf einer Strecke von rund 30 Meter um mehr als einen Meter ab. Die untersten Siedlungshorizonte des 1. Jahrhunderts bestehen nur aus verziegelten oder verkohlten Lehmbändern und dazwischen gelagerten Auftragsschichten aus Lehm; dies sind Zeugnisse von Fachwerkbauten, die auf einfachen Holzschwellen errichtet und nach Brandkatastrophen wieder einplaniert wurden. Aus dem 2. Jahrhundert stammen einige Fundamentreste, die aus Ziegelbruch, Kieseln, Tuffbrocken und wenig Mörtel zu einem unregelmäßigen Gußmauerwerk verarbeitet wurden. Die beiden Fachwerkbauten des 2. Jahrhunderts waren bereits steinfundamentiert und damit gegen die aufsteigende Feuchtigkeit aus dem Boden geschützt.
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Mauerreste eines Großgebäudes (Raststation?), 3. Jh. |
In der Orientierung wichen die römischen Bauten vom heutigen Stadtgrundriss ab, da sie sich an der römischen Hauptverkehrsader, der heutigen Oberstraße, orientierten. Diese Bauten wurden in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts einplaniert, vermutlich waren sie abgebrannt. In die planierte Fläche wurden nun die Fundamente eines für den vicus Novaesium außergewöhnlichen Großgebäudes entdeckt. Das steinerne Haus konnte trotz zahlreicher Störungen durch die späteren Bauten des Sepulchrinerinnenklosters und Hospitals auf einer Fläche (rot) von rund 200 qm festgestellt werden. In der Breite misst es zehn Meter, in der Längsausdehnung konnten bislang knapp 20 Meter festgestellt werden. Das Gebäude erstreckt sich noch weiter unter die nördlich angrenzende Platzfläche.
Im Gegensatz zu den Fachwerkständerbauten des 2. Jahrhunderts ist das Gebäude aufwendig fundamentiert. In der Fundamentgrube wurden zunächst Schieferplatten verkippt, darauf errichtete man das eigentliche Fundament aus regelmäßigen Reihen beschlagener Schieferstücke in einer Kalkmörtelbindung. Stellenweise hat sich das aufgehende, obertägig sichtbare Mauerwerk erhalten. Es besteht aus regelmäßigen gesägten Tuffsteinen, die mit schmalen Fugen vermauert sind.
Das Tuffmaterial stammt aus der Gegend um Mayen in der Eifel, wo im Brohltal in römischer Zeit große Steinbrüche betrieben wurden. Das Material wurde über die römische Schiffsanlegestelle in Andernach an den Niederrhein verschifft. In der Nähe von Andernach wurden in römischer Zeit auch Schiffsteinbrüche ausgebeutet. Es ist also denkbar, dass auch das Fundamentmaterial aus der Eifel stammt.
An drei Seiten des Gebäudes wurden Reste kleinerer Anbauten festgestellt. Wobei in zweien noch Teile eines Fußbodenestrichs erhalten sind. Die Böden dieser Anbauten liegen rund 40 cm tiefer als der eigentliche Laufhorizont des Gebäudes. Sie werden als Befeuerungsräume einer Heizung gedient haben. Die Suche nach den typischen Hypokaustanlagen (ein Kriechkeller abgestützt durch einzelne Ziegelpfeiler, zwischen denen sich die erwärmte Luft unter den Räumen verbreiten konnte) blieb bislang erfolglos. Stattdessen konnte unter dem Gebäude ein einzelner aus Tegulaziegeln errichteter Heizkanal festgestellt werden. Wie der Fund von sogenannten Tubulaturziegeln zeigt, wurde die heiße Luft über Hohlziegel der Wände nach oben abgeleitet.
Der Verzicht auf eine großflächige Fußbodenheizung hat sicher mit der Zeitstellung des Gebäudes zu tun. Im 3. Jahrhundert waren im Umland von Novaesium durch die intensive Landwirtschaft die Wälder verschwunden, so dass Holz nicht mehr so leicht zu beschaffen war. Es ist fraglich, ob man die Unmengen von Holz, die zum Betrieb einer großflächigen Hypokausstenanlage notwendig sind, hätte vorhalten können. Ähnliche, vereinfachte Heizsysteme lassen sich auch in den Gutshäusern des 3. Jahrhunderts, wie etwa in der villa rustica von Bingen Kempten nachweisen. Bislang ungeklärt ist die Frage, welchen Zweck das Gebäude erfüllte. Schon die aufwendige Materialbeschaffung lässt vermuten, dass es sich hier um ein öffentliches Gebäude und nicht um ein Privathaus handelt. Magistrats- und andere Verwaltungsgebäude dürften im vicus von Novaesium aber gefehlt haben, da ein vicus im Vergleich zu einem municipium keine eigenständige Rechtsposition und daher auch keine Verwaltung hatte.
Archäologische Parallelen von vici sind am Niederrhein spärlich. Nur von dem im bereits 19. Jahrhundert ergrabene vicus Belgica in Euskirchen-Billig ist bislang ein detaillierter Dorfgrundriss bekannt. Dort reihten sich, wie auch für Neuss durch Grabungen an der Münze bestätigt, die typischen, langen, schmalen, giebelständigen Streifenhäuser entlang der Hauptverkehrsstraße. An Straßenkreuzungen oder gegenüber von Einmündungen, ließen sich in Belgica aber vier größerer, aufwendiger gestaltete Gebäude feststellen, die mit der Längsseite zum Hauptstraßenzug ausgerichtet waren. Diese Gebäude werden in Belgica als Basar oder Raststation interpretiert.
Das Neusser Gebäude liegt nicht unmittelbar am römischen Hauptstraßenzug, sonder quer vor dem Ende eines Stichweges, der von der römischen Hauptstraße im rechten Winkel abbog. Dieser Stichweg konnte bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bei Grabungen nachgewiesen werden. Möchte man sich der Interpretation von Belgica anschließen, so steht man vor der Frage ob das Neusser Gebäude eher als Basar oder Raststation anzusprechen ist. Gegen die Interpretation als Basar spricht die Beheizbarkeit, solch ein Aufwand wurde für Verkaufsräume nicht betrieben. Die Interpretation als Raststation ist also wahrscheinlicher. Vielleicht lassen sich bei den stichprobenmäßig geplanten Untersuchungen im Bereich unter den Platanen im Herbst noch einige Anhaltspunkte gewinnen. Das Gebäude wurde in der Spätantike aufgelassen. Hinweise auf eine gewaltsame Zerstörung fehlen.
Im frühen Mittelalter diente das Gebäude als Steinbruch, wie zahlreiche Scherbenfunde aus dem 9. Jahrhundert in Ausbruchsgruben belegen. Offensichtlich wurden die Steine bei der Fundamentierung des ältesten Vorgängerbaus von St. Quirin benutzt. Schon Hugo Borger hatte bei seinen archäologischen Beobachtungen 1964 bei Bau des Heizkanals quer durch St. Quirin festgestellt, dass das Tuffmaterial, das beim erste karolingischen Kirchenbau verbaut wurde, wiederverwendet war, da ihm Kalkmörtelreste anhafteten.
Entlang der Brückstraße, wo schon im Grabungsfeld 1 zahlreiche Keller angetroffen wurden, konnten zwei weitere hochmittelalterliche und zwei spätmittelalterliche Keller ausgenommen werden. Die Keller liegen unter dem Garten des 1654 gegründeten Sepulchrinerinnenklosters. Sie wurden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Bauschutt und Hausrat verfüllt. Darin fanden sich hochwertiges Steinzeug, mehr als ein Dutzend Spinnwirtel und auch zahlreiche Bronzefingerhüte aus Nürnberger Fabrikation. Auslöser dieser großflächigen Verfüllung war offensichtlich der systematische Ankauf des Areals durch die Zisterzienserabtei Kamp. Diese besaß seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert auf der gegenüberliegenden Seite der Brückstraße eine Kurie mit Kapelle, die dem Mutterhaus entsprechend Kamper Hof genannt wurde. Hier konnten in der Stadt die landwirtschaftlichen Produkte der abseits gelegenen Zisterzienserabtei verkauft werden.
Im Jahr 1622 beschloss Abt Laurentius Bever die Übersiedlung der Abtei Kamp von Lintfort nach Neuss. Letztendlich scheiterte das Vorhaben an zu hohen Forderungen einiger privater Grundbesitzer, außerdem zogen zu dieser Zeit die Hessen in Neuss ein und erhoben hohe Kriegsabgaben. Die erworbenen Parzellen wurden darauf an die Sepulchrinerinnen verkauft. |