Presseamt der Stadt Neuss, 26. Januar 2004
Der Schliemann vom Niederrhein
Zum 150. Geburtstag des Neusser Archäologen Constantin Koenen
Als Constantin Koenen am 12. März 1886 freudig vermeldete, er habe in Neuss-Gnadental Straßen und Gräben aus der römischen Zeit entdeckt, war die Sensation perfekt. Nur drei Tage nach Beginn seiner Versuchsgrabung hatte der Archäologe das Neusser Legionskastell Novaesium entdeckt, das man bislang nur aus den Berichten des römischen Schriftstellers Tacitus gekannt hatte.
Constantin Koenen, der einmal einer der Pioniere der rheinischen Archäologie werden sollte, kam vor 150 Jahren am 28. Januar 1854 in Bielefeld zur Welt. 1860 trat der Vater eine Stelle als Hafenmeister in seiner Heimatstadt Neuss an. Für Constantin, der zusammen mit acht Geschwistern sowie seinem Neffen, dem späteren Maler Max Clarenbach, und dessen drei Schwestern aufwuchs, sollte der Umzug in die über 2000 Jahre alte Quirinusstadt von entscheidender Bedeutung sein. Schon bald begann er sich brennend für Archäologie zu interessieren, las Bücher über Ausgrabungen und sammelte alles, was alt war: Fossilien, Münzen, römische Keramik. Seine schulischen Leistungen ließen aber wohl zu wünschen übrig: Der junge Constantin musste das Gymnasium verlassen und begann als 15jähriger eine Ausbildung als Granitklopfer und Bildhauer an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Mit 21 Jahren war Koenen aber dennoch am Ziel seiner Träume angelangt. Der Bonner Verein von Altertumsfreunden im Rheinland verschaffte ihm eine Anstellung als Ausgräber. Prägend für Constantin Koenen waren seine Erfahrungen bei den Ausgrabungen im Bonner Legionslager. Sie ließen seine Gedanken immer wieder um das noch nicht lokalisierte Lager der 16. Legion in seiner Heimatstadt Neuss kreisen.
Nachdem er 1886 durch seine Versuchsgrabung spektakulär bewiesen hatte, dass sich das Kastell tatsächlich an der von ihm vermuteten Stelle an der Kölner Straße im heutigen Neuss-Gnadental befand, rückte Neuss in das Rampenlicht der internationalen archäologischen Forschung. Koenen wurde nun mit der vollständigen Freilegung des Kastells beauftragt, das einmal fast 6.000 römische Soldaten beherbergt hatte. Zwischen 1887-1900 ließ er planmäßig Stück für Stück des 420 x 570 m großen Lagers ausgraben. Unzählige technische Schwierigkeiten galt es zu meistern. 60 Parzellen besten Ackerlandes in der Hand vieler unterschiedlicher Besitzer mussten jeweils für ein halbes oder ein ganzes Jahr gepachtet werden. Immer wieder gab es Streit wegen der Entschädigungszahlungen für die Grundeigentümer. Landwirtschaftliche Interessen zwangen Koenen, die Grabungen zumeist im Herbst und im Winter durchzuführen. 50.000 Kubikmeter Erde mussten zum Teil bei Frost und Laternenlicht per Hand bewegt werden.
Die Ausgrabungen des Autodidakten Koenen waren bahnbrechend für die provinzialrömische Archäologie: Erstmals erhielt man weitreichende Einblicke in den Aufbau und die Organisation eines römischen Legionslagers. Bis heute ist das „Koenenlager“ das einzige vollständig freigelegte römische Legionskastell in Europa. In der internationalen Fachwelt besitzt es einen hohen Bekanntheitsgrad. Vier Jahre nach Beendigung der Ausgrabungen wurden die Ergebnisse der Grabungen in einer Sonderpublikation veröffentlicht.
Die Aufdeckung des antiken Kastells Novaesium war für Constantin Koenen nur eine – wenn auch wichtige – Etappe in seinem Leben als Archäologe und Historiker. Ausgrabungstätigkeiten in Deutschland und Spanien sowie Forschungsreisen in das europäische Ausland sind ebenso Teil seines Lebenswerks wie unzählige Veröffentlichungen und Vorträge. 1908 verließ Koenen das Bonner Provinzialmuseum und siedelte nach Neuss über. Fortan bestritt er seinen Unterhalt als Privatgelehrter und arbeitete u.a. an der Inventarisation und Präsentation der archäologischen Sammlung im Clemens-Sels-Museum. Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden zu seinem 70. Geburtstag mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde anerkannt. Am 3. Oktober 1929 starb Constantin Koenen im Alter von 75 Jahren. |