NGZ-Online, 13. September 2003
Rampe in die Römerzeit
Grabungen am Omnibusbahnhof
Die Römerstraße war zerstört, der Rhein - natürlich - noch da. Er gab die neue Linienführung vor, als nach dem Frankensturm ein Neubeginn versucht wurde, der erst jetzt belegt ist - und Folgen hatte.
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Sabine Sauer und Planungsdezernent Stefan Pfitzer laden am Sonntag zur Besichtigung der Grabungsfunde am Omnibusbahnhof ein.
NGZ-Foto: woi |
Der Weg in die Römerzeit führt über eine Holzrampe. Tief muss man am Omnibusbahnhof nicht hinabsteigen, denn die römische Oberfläche liegt an der Hymgasse nur einen Meter unter dem heutigen Niveau. Bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert haben sich die Archäologen in städtischen Diensten dort zwischen Hymgasse und Brückstraße schon vorgearbeitet. "Das erste Jahrhundert kommt noch dran", erklärt Archäologin Sabine Sauer, die am Sonntag zum "Tag des offenen Denkmals" zeigen will, was dem Boden mit Schaufel und Kelle abgerungen werden konnte.
Und wer sie zwischen 14 und 18 Uhr auf dem Grabungsareal anspricht, der hört auch die Geschichte zu den rund 50.000 Fundstücken. Eine Geschichte von Niedergängen und dem zähen Bemühen um einen Neuanfang. Bevor die jüngste Grabung, von Planungsdezernent Stefan Pfitzer als "derzeit größte und bedeutendste am Niederrhein" bezeichnet, begann, galt als erwiesen: Die Frankeneinfälle und die sie begleitenden Plünderungen löschten das Leben im römischen Vicus, der Siedlung in Nachbarschaft der Militärgarnison, in der Mitte des dritten Jahrhunderts aus.
Diese These, 1958 mit Grabungsfunden aus dem Bereich der Münze untermauert, hält Sauer für überholt. Anhand der Funde kann sie einen Bestand der römischen Siedlung bis ins Jahr 285 belegen. "Außerdem gehen wir davon aus, dass es nach den Frankeneinfällen Anfang des vierten Jahrhunderts einen zaghaften römischen Neubeginn gab."
Beleg dafür ist ein nun gefundener Keller an der Brückstraße, der nur aus römischem Abbruchmaterial in den Hang gebaut wurde. Ein Neuanfang aus dem Nichts muss es gewesen sein, denn anders als die älteren Bauwerke richtet sich dieser Keller nicht mehr an der Oberstraße, der alten Römerstraße aus, sondern nimmt den Verlauf des Rheins auf. Diese Linienführung prägt die Bebauung bis heute. In der Völkerwanderungszeit war die Urzelle des heutigen Neuss eine tote Siedlung. Nur eine einzige Scherbe aus dem fünften Jahrhundert wurde inventarisiert.
Für das achte Jahrhundert belegen Scherbenfunde eine allmähliche Wiederbelebung, im neunten Jahrhundert bahnt sich eine erste Blütezeit an. Weil die Küstenstädte vor den Überfällen der Wikinger noch nicht sicher waren, verlagerten sich die Handelsströme ins Landesinnere. Neuss, ein Kriegsgewinnler, bekam eine Reichzollstelle. Die Brückstraße mit ihrer Landungsbrücke wurde zur 1a-Lage. Das wiederum belegt ein Keller aus der Stauferzeit des 13. Jahrhunderts, der mit seinen stattlichen Abmessungen so gar nicht zu der Arme-Leute-Gegend passt, als die das Quartier in einem Kupferstich von 1586 dargestellt wird.
Da währte der Niedergang auch schon fast zwei Jahrhunderte, ausgelöst durch den Rhein, der sich schnöde von der Stadt abwandte. Sauer: "Der Höhepunkt der Scheußlichkeiten war erreicht, als sich 1372 die Zollstelle nicht mehr halten ließ" - und an Zons verloren ging. Wurden viele Rätsel gelöst, so bleibt mindestens eins offen: die Entstehungsgeschichte eines Kanals, der unter den Klosterbauten der Sepulchrinerinnen aus dem 17. Jahrhundert verläuft und dessen Entstehungszeit ungeklärt ist. Auch der ist am Sonntag zu besichtigen. |