WZ-Newsline, 13. September 2003
Neuss: Alte Scherben lösen Geschichts-Puzzle
Die Grabungen auf dem Busbahnhof haben Lücken in der Stadthistorie geschlossen
Andreas Sünder
Neuss. Während die Zukunft des Omnibusbahnhofs weiter unklar ist, nimmt die Geschichte des Areals immer deutlichere Konturen an. Durch die Funde, die das Team um Stadtarchäologin Sabine Sauer freigelegt hat, konnten zwei wichtige Lücken in der Historie der Innenstadt geschlossen werden. Neue erstaunliche Erkenntnisse gibt es jetzt zur spätrömischen und karolingischen Zeit.
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Für Sabine Sauer hat sich der Busbahnhof als wahre Fundgrube erwiesen. Jede Scherbe bringt der Archäologin neue Erkenntnisse. |
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Über 60 000 Scherben haben die Archäologen seit dem Frühjahr 2002 aus dem geschichtsträchtigen Boden geholt. "Wir haben hier eine der bedeutendsten Grabungen am Niederrhein", sagt Beigeordneter Stefan Pfitzer, zu dessen Dezernat die Bodendenkmalpflege gehört. Und gerade für die Zeit, aus der keine schriftlichen Quellen existieren, erhoffte er sich neue Erkenntnisse und wurde nicht enttäuscht.
Während die Archäologen noch nicht tief genug gegraben haben, um auf die Schichten des 1. Jahrhunderts zu stoßen, zeigt ein Fund aus dem darauffolgenden Jahrhundert die damalige Siedlungsstruktur. Auf den knapp 40 Zentimeter breiten Fundamenten aus Tuffstein war ein Fachwerkbau gegründet. Bisher hatte man angenommen, dass die römische Zivilsiedlung (Vicus) nach Beginn der Frankeneinfälle um 285 zerstört und bis zum Mittelalter aufgegeben wurde.
"Die neuen Funde zeigen, dass am Omnibusbahnhof ein neuer, zaghafter römischer Anfang gestartet wurde", berichtet Sauer von der archäologischen Sensation. Neben einem frisch ausgegrabenen Keller an der Brückstraße weisen auch Keramikfunde und eine Münze aus der Zeit Kaiser Konstantin des Großen aus dem Jahr 335 auf die Wiederbesiedlung hin.
Und noch eine erstaunliche Erkenntnis ist zu Tage getreten. Im Gegensatz zu der früh-römischen Siedlung wurden die Gebäude nach der Zerstörung nicht am Verlauf des alten Römerwegs, der heutigen Oberstraße, sondern am damaligen Rheinverlauf etwa der Lage des heutigen Heesentordamms ausgerichtet. "Das alte Straßennetz gab es nicht mehr als Orientierung. Der neue Verlauf zeigt das Interesse am Handel über den Rhein", erklärt Sauer. Mit der neuen Zeit scheint auch Luxus nach Neuss gekommen zu sein. Darauf lassen Ziegel schließen, die für eine Warmluft-Heizung durch die Wände des Hauses gesorgt haben.
Mit der Völkerwanderung begann auch in Neuss das dunkle Mittelalter. "Bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts gibt es mit einer kleinen Ausnahme keinen einzigen Fund", berichtet Sauer. Doch dann eröffnet "ein für das Rheinland einzigartiges Fundspektrum", so Sauer, einen neuen Blick auf die früh-mittelalterliche Stadtgeschichte. Denn Keramiken beweisen, dass zur karolingischen Zeit um 900 eine "zaghafte Wiederbesiedlung" stattgefunden hat. Einen ersten Aufschwung nahm die Stadt, als sie etwa zu dieser Zeit eine Rheinzollstelle bekam.
Nach dem Ende der Normanneneinfälle gegen Ende des 9. Jahrhunderts verlagerte sich der Handel von der immer noch bedrohten Küste an den Rhein. "Damit ging`s richtig los", beschreibt sie die Anfänge von Neuss als prosperierendem Handelsort. Davon zeugen unter anderem seltene, hochwertig verarbeitete Keramikimporte aus dem maasländischen Huy.
Auch für das folgende Hochmittelalter gibt es zahlreiche Belege für den Neusser Wohlstand. Ein über neun Meter breiter, freigelegter Keller aus staufischer Zeit um 1200 zeigt laut Sauer, dass das damalige Hafenviertel eine "bevorzugte 1a-Lage" für Investitionen war. Denn an der Landungsbrücke, von der sich der Name der heutigen Brückstraße ableitet, wurden die ankommenden Boote gelöscht.
Die Waren wurden in den Speichern auf dem heutigen Busbahnhofgelagert. Erst im 14. Jahrhundert, als der Rhein sein Bett von Neuss weg verlagerte, wurde der große staufische Keller durch Mauern in kleinere Kammern geteilt "der Niedergang des Viertels begann", erklärt Sauer.
Interessantes haben die Archäologen auch aus den folgenden Jahrhunderten zu Tage gefördert unter anderem die Fundamente des Klosters der Sepulcherinnen. Die Anlage wurde ab Mitte des 17. Jahrhunderts auf der nördlichen Platzhälfte errichtet.
- Interessenten können am Sonntag mehr über die neuen Erkenntnisse erfahren. Im Rahmen des "Tags des offenen Denkmals" informieren Sabine Sauer und ihr Team von 14 bis 18 Uhr über die Funde und ihre Bedeutung. Jede halbe Stunde werden in einer Diapräsentation die neuesten Grabungsergebnisse vorgestellt.
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