NGZ-Online, 30. August 2003
Elch stapfte zur Römerzeit durch die Wälder am Rhein
Veterinärin untersuchte Fundstücke aus Haus Bürgel
Carsten Sommerfeld
Ein großer Elch steht am Rand eines Sees, Biber nagen an Bäumen an einem der vielen Rheinarme, Lachs und Stör tummeln sich in den Gewässern, und vielleicht ist einige Kilometer weiter auch das Brummen eines Braunbären zu vernehmen. Heute kaum vorstellbar, aber neben Rothirsch, Reh, Wildschwein und Hase haben diese Tiere vor 1.600 Jahren die Natur in Dormagen und seiner Umgebung bevölkert.
Der Stürzelberger Archäologie Jost Auler stieß jetzt auf die Dissertation von Dr. Simone Steins, die für ihre Arbeit an der Universität München mehr als 17.000 Knochen von Haus- und Wildtieren aus der Zeit zwischen dem Ende des vierten und Anfang des fünften nachchristlichen Jahrhundert analysiert hat. Gefunden wurden die knöchernen Überbleibsel allesamt im Haus Bürgel, einem Kastell, das früher zu Zons gehörte, heute Teil der Stadt Monheim auf der anderen Rheinseite ist.
Die geborene Essenerin lebte viele Jahre in Titisee-Neustadt, verbrachte auch drei Jahre in Johannesburg in Südafrika. Heute arbeitet die Veterinärmedizinerin in Irland. "Bis der Rhein im 14. Jahrhundert sein Bett verlagerte, lag Haus Bürgel linksrheinisch", so Jost Auler. Die Bindungen zwischen Zons und Haus Bürgel waren eng, die Kapelle dort sei früher die Mutterpfarre von Zons gewesen.
Und in der Antike konnten die Bewohner vom Kastell aus trockenen Fußes im heutigen Dormagener Stadtgebiet auf die Jagd gehen. "Die Knochenfunde lassen nicht nur Rückschlüsse auf das Leben der Menschen, sondern auch auf die damalige Landschaft zu", freut sich Jost Auler über die Doktorarbeit zum Thema "Viehhaltung, Jagd und Fischfang im Haus Bürgel, einem spätantiken Kastell am Niederrhein". Unruhige Zeiten erlebte der Niederrhein damals.
Die römische Herrschaft am Rhein ging ihrem Ende entgegen. Germaneneinfälle hatten das Imperium geschwächt, Wegelagerer trieben ihr Unwesen, die Selbstversorgung hatte große Bedeutung. Das spätrömische Kastell mit seinen starken Mauern war ein Zufluchtsort, bis zu 200 Menschen könnten dort ständig gelebt - und gegessen - haben. Auf jeden Fall häuften sich in drei Gruben die Knochen, die bei Ausgrabungen in den 90er Jahren ans Tageslicht kamen und den "Rohstoff" für die Analyse von Dr. Steins bildeten.
Vertraut sind die Haustiere: Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege standen in den Ställen. Als Fleisch wurde hauptsächlich Rind verzehrt. Noch wurde das Pferd nicht für die Feldarbeit verwendet, zogen nur Ochsen und Kühe Wagen und Pflug - Steins stieß auf Abschürfungen an Hörnern. Doch vor allem Wildbret bereicherte den Speiseplan. "Gejagt wurde damals mit Lanze und Netzen", weiß Auler. Hase, Rotfuchs, Wildschwein, Dachs, Graureiher und Mäusebussard kommen noch heute in deutschen Landen vor. Doch Dr. Steins stieß auch auf Elchknochen. "Der Elch ist ein Einzelgänger, lebt in Mischwäldern und an den Seen und Sümpfen", erklärt Auler.
Übrigens lieferten die Wildtiere nicht nur Fleisch und Felle: Hirschgeweihe waren Rohstoff für Kämme. Viele Fragen sind bei einem anderen Vierbeiner offen: Zwei Knochen vom Braunbären fanden sich bei Haus Bürgel. Für Jost Auler ist allerdings kaum vorstellbar, dass das Tier "Dormagener" war. "Braunbären benötigen große Wälder und Höhlen, doch bei uns hatten die Römer die Wälder weitgehend gerodet." Vielleicht sei das Tier im Bergischen erlegt worden. Laut Steins wurden Bären damals zum Schutz der Menschen und wegen ihres Pelzes gejagt, Krallen und Zähne wurden als Amulette verwendet.
Sie sieht aber eine andere Herkunftsmöglichkeit: Es könne sich um "Überreste eines gezähmten Bären handeln, der in der Römerzeit zur Unterhaltung und zur Wache gehalten wurde." Nicht nachweisen konnte sie den Auerochsen. Vielleicht fehlte nur das Jagdglück, denn laut Auler kam der "Ur" noch in späteren Jahrhunderten in der Region vor. Aus den Knochen lässt sich gut der Lebensraum der Wildtiere rekonstruieren.
"Entlang des Rheins mit seinen Neben- und Altarmen herrschten größere, mit Auenwald bewachsene Abschnitte vor, aufgelockert durch Lichtungen im Dickicht", so Steins. Immer wieder sei es zu Überschwemmungen gekommen. An den Wald schlossen sich der Tierärztin zufolge weite offene Flächen mit Weiden an. Auch wenn Elch, Biber und Co. längst verzehrt sind, sie hinterlassen ein Bild der Heimat anno 400 nach Christus. |