Novaesium, alias Neuss

Westdeutsche Zeitung, 20. Juni 2003

Römische Welt auf einer Silberscheibe

Das Clemens-Sels-Museum hat das Koenenlager virtuell rekonstruiert und auf CD gebrannt.

Jürgen Heimann

Nach fast 2000 Jahren ist jetzt das römische Legionslager in Neuss wieder aufgebaut worden mit über 50 Millionen Dreiecken, die in monatelanger Arbeit mühsam von etlichen Kräften aneinandergereiht werden mussten. Schwielen an den Händen von der schweißtreibenden Arbeit mit diesen Polygonen haben die fleißigen Herrschaften jedoch nicht: Die Rekonstruktion des so genannten Koenenlagers in Gnadental ist eine Computersimulation. Gleich 16 Rechner fütterte der Digitale Archäologe Dietrich Rothacher aus Freiburg mit dem immensen Datenmaterial unter anderem von städtischem Vermessungsamt, dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege und anderweitigen archäologischen Untersuchungsergebnissen.

0

Startpunkt der virtuellen Reise: Durch das Tor zum Rhein geht es ins Lager. Hier beginnt auch die Hauptstraße, die Via Praetoria.

Herausgekommen ist eine CD-Rom, die ab Mittwoch im Shop des Clemens-Sels-Museums für 29,90 Euro erhältlich ist. Sie wird vom Theiss-Verlag in einer Auflage von zunächst 1000 Stück bundesweit angeboten. Die virtuelle Reise in die Vergangenheit des Lagers der VI. Legion soll insbesondere junge Menschen ansprechen, hoffen die Verantwortlichen des Projektes. Damit steige das Interesse auch für die originalen Schauplätze der Geschichte. Und gerade das "Neusser Legionslager ist ein ganz besonderes", schwärmte am Dienstag Hausarchäologe Carl Pause während der Präsentation der CD-Rom im Clemens-Sels-Museum. "Es ist das vollständigst ausgegrabene in Europa."

Doch die Bürger hatten bislang davon wenig. Sie befahren täglich die Kölner Straße und bemerken so gut wie nichts von ihren historischen Wurzeln. "Das Lager virtuell wieder entstehen zu lassen, war somit die Gelegenheit, den Neussern ihr Legionslager zu zeigen", erläuterte Museumschefin Christiane Zangs ihre Idee. Wie die Soldaten früher gelebt haben oder wie die Gebäude einst ausgesehen haben, können Interessenten nun kinderleicht per Mausklick ergründen. Der Clou des Animationsteils: Jeder kann am Bildschirm selbst entscheiden, welchen Weg er "geht".

Beispielsweise nach dem "Anflug" vom Rhein aus (dem heutigen Sporthafen) durch das Lagertor über die Via Praetoria zum Stabsgebäude der Tribunen. "Ich war überrascht, wie viel Platz in einem solch engen Lager damals war", erklärte Rothacher mit Blick auf die Lagerringstraße. Ein Eindruck, der die historische Wirklichkeit abbildet, wenn auch viele Grafiken eher ein annäherndes Bild vermitteln. "Der Computer möchte halt wissen, ob das Gebäude 4,50 Meter oder 4 Meter hoch ist", so der Fachmann zur digitalen Notwendigkeit präziser Daten.

Wie hoch genau die Gebäude waren, konnte anhand der Grundrisse jedoch nur geschätzt werden. Rothacher: "Somit ist dieses Ergebnis eine von vielen Möglichkeiten, wie es damals ausgesehen haben könnte. Wir haben nicht den Stein der Weisen gefunden." Dafür allerdings den exakten Dachziegel. Zwei Wochen Zeit waren allein nötig, um diesen Baustein zu verwirklichen.

Nachvollzogen werden kann übrigens nicht nur das 550 Meter lange Kastell einer ganzen Legion (rund 6000 Soldaten), sondern per Vogelflug auch das Umland des Stützpunktes Novaesium: die Lagervorstadt, der Hafen und der damals noch vorhandene Wald. Insgesamt zwei Stunden könne man sich mit dem Inhalt der CD beschäftigen. Dabei zu einem Großteil mit dem Multimediateil einem digitalisierten Buch, das unter anderem Aufschluss darüber gibt, welche Waffen es gab.

Per Mausklick können hier Fotos oder Zeichnungen von den Originalen besehen werden. Zudem noch ein Schmankerl: ein Grabungsfilm aus den 50-er Jahren. Und wer abschließend ein vollständiges Bild von Novaesium im Kopf hat, kann es sofort wieder durcheinanderschmeißen. Per Puzzle auf dem Bildschirm!

[ Fenster schließen ]