NGZ-Online, 29. Mai 2003
Ein Ordner für die Kunst
Der Kunsthistoriker Martin Langenberger
Helga Bittner
"Bis jetzt ist noch alles wieder aufgetaucht. Nur nicht unbedingt dort, wo ich es gesucht habe." Ob sein Naturell für den Job unbedingt nötig ist oder nicht - die Ruhe und Gelassenheit, die Martin Langenberger ausstrahlt, kann nur dienlich sein, wenn man einen Bestand inventarisieren muss, der aus geschätzten 25.000 Exponaten besteht.
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Sein Arbeitsplatz sind eigentlich eher das Depot im Keller, der Dachboden von Haus Rottels und der Computer-Schreibtisch: Martin Langenberger kümmert sich um den Bestand des Clemens-Sels-Museum.
NGZ-Foto: H. Jazyk |
Und dabei ist ein wesentlicher Teil der Dinge, die sich im Besitz des Clemens-Sels-Museum befinden, noch nicht einmal eingerechnet: die aus der römischen Abteilung nämlich. Seit gut eineinhalb Jahren schon wälzt der studierte Kunsthistoriker alte Bestandsbücher, wertet Hunderte von Karteikarten aus, um den Bestand des Museums per Computer zu erfassen.
Er muss sich dabei vor allem auf handschriftliche Aufzeichnungen verlassen, die die Vorgänger von Museumschefin Dr. Christiane Zangs hinterlassen haben, wobei er etwa Max Tauch oder Dr. Irmgard Feldhaus glücklicherweise noch fragen kann, wenn Herkunft oder Alter eines Museumsstücks unklar sind. Bei anderen Dingen ist Langenberger auf seine Nase angewiesener: "Es gibt etliche Dinge, die im Krieg zerstört oder verloren gegangen sind, ohne dass das schriftlich festgehalten wurde", sagt er.
Manchmal müsse man regelrecht Memory spielen, ergänzt Dr. Carl Pause, der den archäologischen Bestand verwaltet, "da findet man eine Glasvase ohne Nummer und kann dann raten, wo man sie einordnen muss." Eigentlich müssten sämtliche Exponate, die das Clemens-Sels-Museum jemals gekauft, geschenkt oder auf Dauer geliehen bekommen hat, eine Nummer tragen.
Doch viele der aufgeklebten Zettelchen etwa sind im Laufe der Zeit abgefallen, andere direkt aufgetragene Zahlen sind kaum noch lesbar. Eine dritte Gruppe schließlich umfasst diejenigen, die zwar eine Nummer tragen, aber nirgendwo verzeichnet sind; eine vierte schließlich, die zwar mit Nummern in einem Bestandsbuch oder auf einer Karteikarte verzeichnet sind, aber nicht an ihrem dort angegebenen Ort lagern ...
So ist Martin Langenberger denn auch nicht nur an seinem PC anzutreffen, sondern ebenso in den Kellerräumen des Hauses am Obertor und auf dem Dachboden von Haus Rottels. Das Depot am Obertor ist zwar viel zu klein und voll gestellt, wirkt aber geradezu mustergültig aufgeräumt - was man vom Dachboden im Haus Rottels kaum sagen kann; genau genommen verbietet sich beim Blick in das Lager schon der Gedanke, da von einem Depot zu sprechen.
Spielzeug, Nierentisch-Kultur, Waschzuber und alte Ackergeräte können hier schlicht nur gehortet werden; kein Wunder also, dass die Dependance des Museums Langenberger ihm auch das meiste Kopfzerbrechen bereitet: Wer da wichtige von unwichtigen Zeitzeugnissen unterscheiden will, muss sie erst mal finden. Diese dann in eine zeitliche und räumliche Ordnung zu bringen und zudem das Depot am Obertor übersichtlicher und exponatfreundlicher zu gestalten, wird wohl erst gelingen, wenn das Clemens-Sels-Museum einen neuen Anbau bekommt.
Bei der Bestandsaufnahme von Haus Rottels steht Langenberger also noch ganz am Anfang. Rund so zwei Jahre, so schätzt er, wird es wohl noch dauern, bis er alle Exponate mit dem Computerprogramm "Museumplus" erfasst hat. Rund 7500 Objekte er bisher in ihren Grunddaten aufgenommen, sie zugleich im Bestand aufgespürt, neu beschriftet und ihnen einen ebenfalls genau bezeichneten Depotplatz zugewiesen.
Was ist das für ein Gefühl, tagtäglich mit wertvollen Kunstgegenstände umzugehen? "Man muss schon ein bisschen aufpassen, dass man nicht den Respekt verliert", sagt Langenberger, der sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die engen Gänge des Depots bewegt, einen jahrhundertealten Steinkrug mit einer Selbstverständlichkeit aus dem Regal nimmt wie andere Menschen Konservendosen.
Museumsmitarbeiter wie Langenberger, der auch schon im Museum Abteiberg in Mönchengladbach den Bestand inventarisiert hat, tragen in anderen Häusern einen besonderen Namen: Sie sind Registrare, "aber die gibt es meistens nur in Museen, die auch einen großen Leihverkehr abwickeln". Dieser wiederum hält sich beim Clemens-Sels-Museum in Grenzen, gleichwohl verzeichnet Langenberger natürlich jede Bewegung eines Exponates in seinem Computer.
Doch der Kunstexperte, der mit seiner Familie in Aachen wohnt, hat am Obertor noch zahlreiche andere Aufgaben übernommen: Er kontrolliert die Besucher- und Einnahmestatistik, kümmert sich um den Museumsshop, betreut Honorarkräfte in deren Präsentationsarbeit, erledigt den Schriftentausch mit Museen und Galerien, baut das Photoarchiv aus und arbeitet an Ausstellungsprojekten mit.
Möchte ein Mensch, der wie er Kunstgeschichte, Philosophie und Germanistik studiert hat, nicht doch lieber als Kurator arbeiten? Kurzes Überlegen, dann der Satz: "Ach, ich glaube, ich muss meine Kollegen nicht beneiden. Ausstellungsplanung ist sehr viel stressiger..." |