NGZ-Online, 27. Dezember 2002

Dem Auerochsen auf der Spur

Historiker informiert über Funde aus der mittleren Steinzeit

Carsten Sommerfeld

Mit seinen langen Hörnern marschiert der mächtige Auerochse durch die Auenlandschaft, trotz der furchterregenden Waffen eine lohnenswerte Beute für die ersten "Dormagener". Dass Auerochsen vor 9.000 Jahren im heutigen Stadtgebiet umherstreiften, ist belegt, dass Menschen dort damals auf die Jagd gingen, anhand von Fundplätzen ebenfalls. Anderes kann nicht nachgewiesen werden, bleibt Vermutungen überlassen - spannend ist die Geschichte von den Dormagener Vorfahren auf jeden Fall.

Auf der Flucht vor seinen hartnäckigen Verfolgern stürzt sich der vier Jahre alte Auerochse in den Sumpf - unerreichbar für die Jäger hinter ihm, aber auch eine Falle, aus der sich der noch nicht ausgewachsene Stier nicht mehr befreien kann. Dramatische Jagdszenen, wie sie sich laut dem Archäologen und Historiker Jost Auler um 7.000 vor Christus unmittelbar am heutigen Forsthaus im Straberger Wald zugetragen haben - könnten.

In den neuesten "Dormagener Geschichten", der Information des Geschichtsvereins für Dormagen, Nievenheim und Zons, hat Auler statt Vermutungen gesicherte archäologische Erkenntnisse über jene Epoche zusammen getragen. Fest steht, dass bei Straberg der junge Stier zu Tode kam: "Bei Bauarbeiten fand ein Mann dort Knochen", erzählt Jost Auler begeistert von dem Fund vor einigen Jahren. Der erste Gedanke habe Dinosaurier-Überresten gegolten. Neben dem Rheinischen Amt für Denkmalpflege wurde Jost Auler hinzugezogen.

Er steigt in die 2,10 Meter tiefe Grube, findet neben Haselnussresten weitere Knochen. Die spätere Diagnose eines Gutachters: Beinknochen eines Auerochsen. Die Radio-Karbon-Methode ergibt das Jahr 7.138 vor Christus - mit einem Ungenauigkeitsfaktor von gerade mal 113 Jahren. Mit bis zu drei Metern Länge und 1,80 Meter Schulterhöhe ist der Auerochse - auch Ur genannt - nicht nur das größte aller Wildrinder, sondern zugleich Stammvater unserer heutigen Hausrindrassen. Selbst überlebt hat er nicht: 1627 starb das letzte Exemplar in Polen, im Tannenbusch sind heute Nachzüchtungen zu sehen.

Bei vielen hatte der Straberger Auerochse, dessen übrige Überbleibsel noch im Boden vermutet werden, bald seinen Spitznamen weg: der Au(l)erochse. "Jeder Archäologe hat im Leben seine ganz besondere Entdeckung, der Fund 1993 aus der frühen Mittelsteinzeit war bislang mein", sagt der Stürzelberger, erzählt von "damals". Um 12.000 bis 10.000 vor Christus sei es spürbar wärmer geworden, habe sich die Fauna in der Nacheiszeit geändert. "Das Mammut und andere Arten verschwanden, heute bekannte Tiere wie Rot- und Rehwild, Wildschwein, Biber, Luchs traten an ihre Stelle - und der Auerochse." Alle sie hätten auf dem Speisezettel der Steinzeitjäger gestanden.

"Wir kennen in Dormagen etwa 20 bis 25 Plätze mit Funden, die oft beim Pflügen an die Oberfläche kamen." Der wohl ergiebigste Fundplatz aus jener Zeit liegt östlich des Bergerhofes - jünger als der Auerochsenfund. Steingeräte - Bohrer, Kratzer und Pfeilspitzen - geben Einblick in den längst vergangenen Alltag. Einige Flinte zeigten Gebrauchsspuren vom Umgang mit Holz, Knochen und Geweihen. Jäger und Sammler waren damals die ersten Menschen im heutigen Dormagen - doch wohl nur auf Durchreise.

"Die Jäger zogen in Sippen dem Wild nach, durchstreiften ein riesiges Territorium und lebten in mobilen Behausungen." Die Population war damals verschwindend gering. Mit dem Vorurteil vom "primitiven" Ahnen räumt Jost Auler auf: "Die Menschen damals sahen nicht anders aus als heute. Ich nenne sie gern High-Tech-Jäger, die die Probleme ihrer Zeit hervorragend zu meistern wussten." Damals wurden laut Auler schon Pfeil und Bogen zur Jagd oder die Harpune beim Fischfang benutzt. "Und sogar Klebstoff konnten die Steinzeit-Jäger aus Pflanzen-Materialien selbst herstellen."

Zwar versteht sich Auler auf die Fabrikation von Werkzeugen nach Steinzeit-Art, doch beim Klebstoff musste er passen. Wie der Lebensraum der frühen Dormagener aussah, ist anhand von Pollenanalysen von der Broicher Fundstätte bekannt: ein nicht sehr tiefes Gewässer, ein Flachmoor mit wenig einladendem, dichten Brennnesselbewuchs, Farne, Ilex, Auenwälder mit vielen Haselnuss-Sträuchern - wohl eine weitere reiche Lebensmittelquelle für die Steinzeitmenschen.

Doch die Zeit dieser Jäger und Sammler näherte sich ganz allmählich dem Ende, als etwa 5.000 vor Christus Einwanderer sesshaft wurden, Viehzucht betrieben. Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, der lange Weg bis zur heutigen Stadt Dormagen mit Kloster Knechtsteden und Bayer-Werk begann.

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