Festungsbau light: Wo ist das Fundament?Stadtarchäologin gräbt an Mauerresten Waren die Stadtväter im mittelalterlichen Neuss knickerig oder nur allzu blauäugig? Jedenfalls setzten sie den ersten Mauerring im 12. Jahrhundert fast ohne Fundament auf die Wiese. Was ein Quatsch, erkannten ihre Nachfahren zwei Jahrhunderte später und schützen diese erste Mauer mit einer zweiten, drei Meter tief im Erdreich verankerten. Verbindende Klammer beider Stadtmauern war das Hamtor, das vor fast 160 Jahren geschliffen wurde.
Seitdem ruhten die Mauerreste knapp unter der Oberfläche und warteten auf Sabine Sauer. Die gräbt derzeit alles aus und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Denn am Hamtorplatz kann die Stadtarchäologin die Abfolge der Festungsbauten vom 12. bis ins 15. Jahrhundert hinein nachzeichnen. "Das kann kaum eine andere Stadt", jubelte Sauer Freitag bei der Baustellenbesichtigung und kündigte an: "Den Aufsatz darüber schreibe ich selbst." Denn Stadtmauern sind ihr Hobby. Für Grabung und Dokumentation der Funde am Hamtorplatz haben die Archäologen bis September Zeit. Erst dann, wenn dort ein neuer Kreisverkehr entsteht, werden die Bodendenkmäler wieder zugedeckt werden. Vielleicht, so tat Planungsdezernent Stefan Pfitzer interne Überlegungen kund, wird ein besonders gestaltetes Pflaster oberirdisch umreißen, was im Dunkeln darunter verborgen liegt. Das allerdings ist eine Menge. Denn bei der Suche nach Fundamenten von Tor und Stadtmauern legten die Archäologen auch Reste eines zwingerartigen Vorbaus frei, der sogar den ehemaligen Stadtgraben stadtauswärts überspannte. Für diesen Fund hätten sie fast den Drusushof "anheben" müssen. Die Fülle der Funde hat Sabine Sauer förmlich umgehauen. "Wir haben erwartet, nicht mehr viel Originalsubstanz im Boden vorzufinden", beschreibt sie anfängliche Skepsis. Als jedoch der Asphalt beiseite gekratzt war stellte sie fest, dass das alte Gemäuer von Kanalbauern und "Strippenziehern" für Strom und Telefon fast gänzlich unbehelligt geblieben ist. So kann sie heute mehrere Jahrhunderte Fortifikations-Entwicklung aufzeigen in dem sie mit dem Zeigefinger von der Stadt- zur Feldseite wandert. Und sie kann sich wundern. Denn das Tor im ersten Mauerring, ausgeführt als so genanntes Zangentor, wird zur Feldseite nicht enger, sondern weitet sich wie zum Willkommen der Gegner. "Abartig", findet sie diese Konstruktion, "als ob der Baumeister die Pläne falsch herum gehalten hat." Dem Hamtor näherten sich die Händler aus Flandern und Brabant über eine Handelsroute, die schon die Römer kannten. Das gab dem Tor im hohen Mittelalter große Bedeutung, bis die Stadtväter alle Händler der Einfachheit halber zum "Schröpfen" durch das Zolltor dirigierten. Von da an blieb das Hamtor meist geschlossen, öffnete sich nur, wenn die Ackerbürger auf ihre Felder mussten. So gesehen war es kein Verlust, als das baufällig gewordene Tor 1845 samt Pförtnerhaus abgerissen und die südlich angrenzende Wallanlage mit Wohnhäusern und dem Arresthaus bebaut wurde. Schließlich brauchte auch die Stadtmauern niemand mehr. Die alte nicht, die schon im 13. Jahrhundert den Belagerungsmaschinen nicht mehr gewachsen war, und die deshalb im 13. Jahrhundert mit einem auf Bögen gestützten Wehrgang verstärkt wurde. Und auch das mit 16 Metern Abstand zu diesem inneren Verteidigungsring angelegte steinerne Bollwerk aus dem 14. Jahrhundert war überflüssig geworden. Trotz der drei Meter tief hinabreichenden Fundamente. Die hätten im Mittelalter Unterminierungstrupps, die sich der Stadt maulwurfsartig näherten, den Zugang noch verwehren können. Doch buddeln - das hatte im Zeitalter der "Knarren" und Kanonen kein Angreifer mehr nötig. |
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