NGZ-Online, 26. März 2002

Über steile Rampe in schützende Tiefe

Einstieg in ein Grabensystem?

Christoph Kleinau

Im Boden unter dem alten Herrenhaus schlummert ein Geheimnis. Das wussten auf dem Buscherhof bei Röckrath alle. Spätestens seit vor Jahren eine Wäschespinne plötzlich absackte und fast verschwand, stand fest: Da unten ist was. Seit Sonntag haben Georg Wolfgarten und die übrigen auf dem Hof Gewissheit.

Buscherhof

Denn bei den Sanierungsarbeiten an einem mehr als 300 Jahre alten Wohnhaus stießen die Arbeiter auf einen mittelalterlichen Fluchttunnel - und bescherten Sabine Sauer, der Archäologin in städtischen Diensten, so einen schönen Tag. Fluchttunnel unter alten Häusern und Höfen kennt Sauer vor allem aus den Gegenden, wo im Braunkohletagebau der Bagger auch in tiefere Schichten hinabreicht.

Meist nämlich liegt schon der Einstieg in den Tunnel einige Meter unter der Rasenkante. Auf dem Buscherhof ist das auch so. Knapp drei Meter unter dem normalen Bodenniveau wurde eine - in späterer Zeit wieder geschlossene - Maueröffnung frei gelegt, durch die der Tunnel betreten wurde.

Von dort aus kamen die früheren Benutzer über eine steile Rampe schnell in noch tiefere Schichten. Einige Meter tief kann der alte Stollen heute noch eingesehen werden, der sich in etwa acht Metern Tiefe erkennbar in zwei Richtungen verzweigt. Wie es dahinter aussieht, weiß Sabine Sauer nicht. Sie würde den in den gewachsenen Löß-Boden gegrabenen Tunnel erst betreten, wenn er abgesichert ist.

Ob das passiert, konnte sie gestern beim ersten Ortstermin noch nicht absehen. Bis die Frage geklärt ist, bleibt der Einstieg, der gleich nach ihrem Besuch gesichert wurde, geschlossen. Über den Sinn dieser Tunnel sind sich die Wissenschaftler einig. "Gängige Theorie ist, dass diese unterschiedliche Gehöfteteile verbanden und so Fluchtmöglichkeiten in kriegerischen Zeiten boten", zitiert Sauer. Ob die Röhren auch als Vorratskammern oder Waffendepots genutzt wurden, ist nicht gesichert.

S. Sauer
Sabine Sauer beim Blick in die "Unterwelt": Acht Meter unter der Erde teilt sich der Stollen, der nach Ansicht der Neusser Archäologin schon im Hochmittelalter in das Erdreich gegraben worden sein könnte. Ob der Tunnel auch als Vorratskammer oder Depot gedient haben könnte, weiß sie nicht. NGZ-Fotos (2): H. Jazyk

Wann genau der Stollen in den festen Boden getrieben wurde, kann Sauer zurzeit nur schätzen. "Im hohen Mittelalter", glaubt sie mit Blick auf andere Funde in der Umgebung. Überzeugt ist sie aber, dass der Tunnel älter ist als das darüber stehende Barockhaus von Anfang des 18. Jahrhunderts. Das steht nämlich um 90 Grad gedreht auf einem deutlich älteren Kellergewölbe, das noch heute bis unter den Innenhof des Vierkanthofes reicht.

Dieses Gewölbe, das erkennbar aus dem Abbruchmaterial römischer Villen errichtet wurde, könnte schon im 13. Jahrhundert ein steinernes Gebäude getragen haben, sagt Sauer und leitet daraus gleich eine Frage ab: "Warum wurde neben solch einem festes Haus, das seinen Bewohnern einigen Schutz geboten haben wird, noch ein archaisch anmutendes Grabensystem betrieben?" Das ist eine von mehreren offenen Fragen. Der Fund hat bei Georg Wolfgarten wieder alte Geschichten in Erinnerung gerufen.

Die zeigen, dass ein Grabensystem unter dem alten Gehöft, das von 1289 bis in die Franzosenzeit im Besitz der Clarissen in Neuss war, die Phantasie seit Generationen beflügelt hat. "Es gibt das Märchen, dass der Gang bis nach Liedberg führt", erzählt der Hofpächter. Die Erzählungen von Fuhrwerken, die auf offener Feldflur einbrachen, nennt er die wildeste Geschichte um diese Fluchttunnel, derer es auf dem Hof sogar vier gegeben haben soll.

Die sei doch wohl eher mit dem Abbau von Mergel (Sedimentgestein aus Ton und Kalk, d. Red.) erklärt, sagt er mit Verweis auf die Flurbezeichnung Mergelskuhle. Und der Einbruch der Wäschespinne? Ein weiterer Einstieg- und Entlüftungsschacht könnte des Rätsels Lösung sein, vermutet Sauer sogleich. Bevor sie aber diesem Verdacht nachgeht, hält sich die Archäologin an gesicherte Dinge. Den Keller und den darin schon georteten Tunneleinstieg zum Beispiel.

Das 300 Jahre alte Haupthaus wird saniert. Dazu wurde auch das Fundament frei gelegt.

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