Kölner Stadt-Anzeiger, 23. August 2001 Unten in der GrubeArchäologie im Rheinland Oliver Cech "Wo bleiben denn jetzt die Fotografen?" Grabungsleiter Thissen versteht die Welt nicht mehr.
Da hat er vor den Augen der erwartungsvollen Journalistenschar ein merkwürdig geformtes Schädeldach aus der Tüte gezaubert - "eine Nachbildung aus den Bruchstücken des 1856 unvollständig geborgenen Neandertaler-Mannes", erläutert der Archäologe. Da hat er den Spannungsbogen weiter angezogen, indem er mit Bedacht zunächst einen Latex-Handschuh überstreift und dann den nordrhein-westfälischen Kultur-Minister Michael Vesper (Grüne) fast verschwörerisch an seine Seite zieht. Da hat er aus einem luftdichten Etui ein weiteres Schädelfragment gefischt - "das linke Jochbein des Neandertalers, gefunden im letzten Jahr, hier das Original!" - und Schädeldach und Jochbein an einander gefügt. Alles hält die Luft an. Der Minister zieht die Augenbrauen hoch. Grabungsleiter Thissen lächelt wissend: Die Fundstücke passen zusammen. Wenn der Kulturminister eine "Zeitreise in die rheinische Vor-und Frühgeschichte" unternimmt, dann sollte schon einiges zusammen passen. Schließlich kommt Vesper nicht allein, sondern mit einem Tross von zwei Dutzend Journalisten, auch ein Kamera-Team ist dabei. Und dass "die Medien" nach griffigen Geschichten gieren, hat sich offenbar auch unter Archäologen herumgesprochen: Keine volle Minute schabt Minister Vesper mit dem Forscher-Schäufelchen am Fundplatz Mönchengladbach-Rheindahlen, da hat er schon ein "Artefakt" entdeckt, eine steinerne Klinge aus Neandertaler-Zeiten. Selbst ein wenig verblüfft, schwenkt der Minister seinen Sensationsfund. So einfach kann Archäologie sein, wenn nur der Richtige das Schäufelchen führt. Aber wo, verflixt, stecken jetzt wieder die Fotografen? "Wir empfehlen festes Schuhwerk", notierte das NRW-Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport in seiner Einladung zur Zeitreise. Wer das nicht ernst genommen hat, musste es bald bereuen. Denn eines machte schon der erste Punkt der Tagesordnung klar, der Besuch bei der Dormagener Ausgrabung eines römischen Militärlagers: Nicht Politik, sondern Archäologie ist ein schmutziges Geschäft. Wer heran will an die richtig alte Geschichte, der darf das Buddeln nicht scheuen. Der muss in der Erde wühlen, oft viele Meter tief. Dieweil am Tageslicht das Treiben munter weitergeht, hält nämlich die Erde verborgen, was einmal in sie eingesunken ist, und konserviert es - über Jahrhunderte, auch über Jahrtausende. Bis eines Tages ein Archäologe kommt (oder ein Minister) und das Verborgene der Erde wiederum entreißt. Dann wird etwa, wie in Dormagen, ein römisches Reiterkastell sichtbar. Oder richtiger, seine unverweslichen Reste: Münzen, Pferdegeschirre, Bruchstücke eines Fortuna-Altars. "Was suchen Sie hier?", möchte Vesper vom Grabungsleiter wissen. "So geht man also vor!", kommentiert er die Erläuterungen zur Grabungsmethode. Zu des Ministers Steckenpferden gehört die Archäologie nicht, soviel scheint gewiss. Dennoch muss Vesper mit dem Grabungsleiter hinunter in die Grube: Fototermin. Da sind sie ja, die Fotografen! Auf dem Weg zur nächsten Fundstätte, einer römischen Landvilla im Braunkohlegebiet bei Inden, stehen wir erst einmal im Stau. So ist das eben auf einer Zeitreise: Die Autobahnen liegen immer noch in der Jetztzeit, und wer sich am Spätnachmittag auf die Kölner Ringe wagt, der weiß, was ihn erwartet. Doch wird uns die Zeit nicht lang. Denn das Mikrophon des Reisebusses teilen sich Martin Stankowski und Jürgen Becker, ein eingespieltes Herrendoppel in Sachen Kabarett und Historie. Und Becker wäre nicht Becker, nutzte er die Streifzüge im Linksrheinischen nicht zu ausgedehnten Schmähreden gegen alles, was rechts das Rheines lebt und webt. Düsseldorf, erfahren wir, habe der Römer ja damals als Pferdewiese genutzt. Und der Westfale liege zwar "im Saurierbereich ganz weit vorn, vor allem im Raubsaurierbereich", doch habe er den schweren Fehler begangen, sich nicht in rheinischer Manier den anrückenden Römern zu unterwerfen. Die Folgen dieser Weigerung trage er noch heute, und wenn der "Arschäologe" (Originalton Becker, ebenfalls rheinische Manier) nach Römerresten suche, brauche er sich nach Westfalen gar nicht erst zu wenden. Inzwischen erreichen wir das Geisterdorf Inden im Kreis Düren. Indens Bewohner haben ihr Dorf aufgegeben, leer stehen Haus und Hof. Der Grund dieser Landflucht ist schwer zu übersehen: Braunkohlebagger graben sich Meter für Meter voran; etwa 2005 werden sie das Dorf erreichen. Lange vorher indes wird ihnen der Überrest eines römischen Landgutes zum Opfer fallen: Bereits in Augennähe der Baggerschaufeln legen die Archäologen hier Mauerfundamente und Brunnen frei, finden Relikte eines luxuriösen Badezimmers. "Das ist eine einzige Notgrabung", seufzt Grabungsleiter Geilenbrügge. "Andererseits kann man nirgendwo sonst seine Untersuchungsschnitte so frei ziehen wie hier im Niemandsland, auf das niemand mehr Anspruch erhebt." Unterdessen drängt Vesper zur Eile, denn wir liegen hinter dem Zeitplan zurück. Doch einen Besuch am Braunkohlebagger lässt sich der grüne Minister nicht nehmen. So stehen wir am Rande des Abgrunds, vor uns die kreisenden Riesenschaufeln. Ein Gruß hinüber zu den Baggerführern, dann schaut Vesper stumm auf das Werk der Erdumwälzung. Bei Mönchengladbach geht unsere Zeitreise zu Ende. Vor 100 000 Jahren haben hier Neandertaler an einem See kampiert und Wild gejagt: Mammuts, Hirsche, Wollnashörner. Jetzt wird der Boden, auf dem sie damals lagerten, Zentimeter für Zentimeter abgetragen und "geschlämmt", mit Wasser durch ein Sieb gepresst, um Artefakte zu finden - Jagdwaffen und Küchenwerkzeuge wie den bereits sprichwörtlichen "Vesper-Stein". Inzwischen naht die Nacht. Dämmerung senkt sich über das Gelände. Drinnen im Zelt gibt es jetzt Spanferkel und rheinisch gute Laune, trotz des servierten Altbiers. Wenn man sich noch einmal nach draußen begibt und vom Zelt entfernt, bemerkt man eine seltsame Stille, die über diesen sonst unscheinbaren Feldern liegt. Und man meint, ihn zu spüren - den endlosen, alterslosen Atem der Zeit. |
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