RP-Online, 8. November 2000

Der Blick des Neandertalers

Dr. Ralf W. Schmitz war der erste, den der Urzeitmensch "angeschaut" hat

Stefanie Winkelnkemper

(RP). Wenn es draußen kühl und windig wird, dann freut sich Dr. Ralf W. Schmitz über ein wärmendes Tässchen Kaffee. Heiß und kalt mit einem Schlag wurde es dem Archäologen vor drei Jahren: Der Osterather förderte bisher vermisste Knochenteile des ersten Neandertalers ans Tageslicht. Ein winziges Stück aus dem Kniegelenk jenes Vorzeitmenschen, der die Evolutions-Forschung vor 143 Jahren revolutionierte und dem Tal bei Mettmann seinen Namen gab. Jetzt ist eine weitere Ausgrabungs-Saison zu Ende gegangen. "Gerade erstellen wir das Finanzierungskonzept für die Auswertung", erklärt der Prähistoriker.

Wie heißt der Knochen-Freund?

Schmitz ist eine Berühmtheit unter den Vorzeitforschern. Als freier Mitarbeiter des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege war er es, der dem Neandertaler "ein Gesicht gab". Warum? Sein Kommentar nach dem Fund des Jochbeins sagt alles: "Da schaute er mich zum ersten Mal an."

Also, dann schauen wir erstmal, was der Neuzeit-Mensch macht: Der 39-Jährige ist mit Leib und Seele ein Osterather "Rebell" und ein Fan der Gladbacher Borussia. Leider ist das Schützenfest passe, und die Spiele der "Fohlen" seien "ja inzwischen auch nicht mehr so entspannend anzusehen", gibt er zu bedenken. Also, was kann es Schöneres geben, als die Realität zu verlassen und in der Frühgeschichte zu blättern? Zumal im eigenen Buch?

Im Frühjahr 2000 erschien im Spektrum-Verlag das Gemeinschaftswerk von Schmitz und Dr. Jürgen Thissen, seinem langjährigen Freund aus Studienzeiten. "Neandertal - Die Geschichte geht weiter", heißt es, und ist nach eigener Aussage des Forschers "nicht nur für Fachidioten gemacht". Und tatsächlich: Der Experte, der zeitlebens in Meerbusch wohnte, wirkt gerade deshalb so sympatisch, weil er sich mit Fachchinesisch zurückhält.

Stattdessen regt er lebhafte Vorstellung von dem an, was vor 40 000 Jahren in der Region losgewesen sein muss. "Rundherum gibt es hier Funde", sagt er und strahlt. "Deshalb sind Neandertaler bestimmt auch durch Meerbusch gelaufen."

Zu gerne wüsste er den Namen seines "Knochen-Freundes", dessen Überbleibsel für ihm zum Fund seines Lebens wurden. Und wieder lacht Schmitz, wenn er sich vorstellt, wie erschüttert jener haarige Geselle sein müsste, wenn er sehen könnte, wie seine Knochen heute mit modernsten Methoden untersucht werden. Schmitz gehörte zu jenen, die mit der Idee, Gen-Analysen an prähistorischen Knochen durchzuführen, eine neues Zeitalter in der Archäologie einläuteten. "Vier Jahre hat es gedauert, bis wir die Genehmigung dafür bekommen haben", sagt der Geduldige.

Gerangel um Evolutions-Frage

Möglicherweise bringen die Erkenntnisse der kommenden Jahrzehnte nun untrügliche Beweise dafür, ob der Neandertaler der Vorfahre des modernen Menschen war oder nicht. "Jürgen denkt, dass sie es nicht sind. Ich denke eigentlich schon", erzählt Schmitz vom spannenden Gerangel, das den Experten keine Ruhe lässt.

Derweil besucht der Forscher seine Freundin, die in Tübingen ebenfalls Ur- und Frühgeschichte studiert. Selbst ist er froh, dass seine Leidenschaft für den heutigen Traumjob in den Leistungskursen Geschichte und Physik auf dem Büdericher Matare-Gymnasium entfacht wurde.

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