NGZ-ONLINE, 10. Mai 2000

Über das Grab des heiligen Quirinus

Die Regensburger Wissenschaftlerin Dr. Jutta Dresken-Weiland erläuterte in Neuss Forschungsergebnisse

Max Tauch

Neuss. Katakomben sind christliche Grabstätten. Christen haben dort nicht gewohnt oder gehaust. Mit diesem Vorurteil räumte am Dienstag Abend Dr. Jutta Dresken-Weiland auf. In einem gut besuchten Vortrag im Kardinal-Frings-Haus am Münsterplatz, veranstaltet vom Katholischen Bildungswerk, stellte die Regensburger Wissenschaftlerin die jüngsten Forschungsergebnisse zur Begräbnisstätte des Quirinus in Rom, der Praetextat-Katakombe, vor. Dr. Jutta Dresken-Weiland, die in Kürze einen Lehrstuhl für christliche Archäologie übernimmt, war mehrere Jahre Assistentin am Deutschen Archäologischen Institut und Mitarbeiterin des Päpstlichen Instituts für christliche Archäologie. Ihre Ausführungen offenbarten verblüffende Erkenntnisse. Was Märtyrer betrifft, sind für die Nachwelt neben dem Glaubenszeugnis und dem Vorbildcharakter des heiligen vor allem sein Grab und seine Reliquien von Bedeutung. In der frühchristlichen Zeit ist die Begräbnisstätte Angelpunkt jeder Verehrung: man pilgerte dorthin. Man wollte hier, wie Augustinus formuliert, "das Heil mit den Händen greifen".

Die meisten Märtyrergräber finden sich in den römischen Katakomben, auch das des Quirinus. Die Praxis, unterirdische Anlagen als Friedhof zu benutzen, war kein neuer Einfall der Christen. Es gab sie in mehreren Kulturen der antiken Welt, vor allem in den Gegenden, wo die Bodenbeschaffenheit müheloses Graben ermöglichte. Quirinus wurde in der Praetextat-Katakombe beigesetzt, darin stimmen die erhaltenen schriftlichen Zeugnisse überein. Dresken-Weiland: "Seine Beisetzung in dieser Katakombe gehört zu den wenigen Tatsachen, die wir sicher von ihm wissen."

Dagegen ist die "Passio", seine detailreich ausgeschmückte Leidensgeschichte, erst im 6./7. Jahrhundert entstanden. Die Archäologin ging detailliert auf Gestaltung und Ausstattung der Gräber, speziell auch des Quirinus-Grabes, ein. Das früheste Zeugnis, das in der Praetextat-Katakombe gefunden wurde und das wahrscheinlich von Quirinus spricht, ist eine fragmentarische Inschrift, Der Name "Quirinus" erscheint als solcher auf einer weiteren in der Katakombe gefundenen Inschrift, die aufgrund ihrer Buchstabenform in das 5. Jahrhundert datiert.

Die Bezeichnung des Quirinus als confessor, als Bekenner, führt einen der italienischen Katakombenforscher, Agostino Amore, zu der Annahme, dass Quirinus ursprünglich kein Märtyrer war, sondern von der "Passio" zu einem solchen erklärt wurde. Verblüffend für die Anwesenden war auch die Mitteilung, das Martyrium des Quirinus sei im 3. Jahrhundert erfolgt. Die Neusser Tradition geht bisher von einem Marytrium im zweiten Jahrhundert aus. Der Beginn der Übertragung von Reliquien, so die Wissenschaftlerin, aus den Katakomben in Kirchen innerhalb Roms war seit Papst Theodorus (642-649) in vollem Gange.

Die Bedrohung Roms durch die Langobarden führte dann zu einer systematischen Übertragung von Reliquien in römische Stadtkirchen. In der Zeit zwischen Paul I. (757-767) und Leo IV. (847-855) wurden die Katakomben weitgehend ausgeräumt. Als keine Märtyrer-Reliquien mehr zu bergen waren, gerieten die Katakomben in Vergessenheit. Das Grab des Quirinus blieb bis in die Spätzeit der Katakomben ein Pilgerziel. Nur kurze Zeit wurde es dann um die Reliquien still. Nach der Übertragung nach Neuss, wann auch immer, verbreitete sich dann der Kult des Heiligen weit in den rheinisch-maasländischen und skandinavischen Raum. - Die von Dr. Dresken-Weiland vorgetragenen Erkenntnisse sind in dem soeben erschienenen wissenschaftlichen Handbuch "Quirinus von Neuss" enthalten.

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